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23. November 2020

No free lunch

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Mag. Harald Kolerus GELD-Magazin / Redakteur

Mit den Maßnahmen Österreichs gegen die wirtschaftlichen Folgen der Corona-Krise zeigt sich der renommierte Ökonom Martin Kocher zufrieden. 2021 rechnet er mit einer konjunkturellen Besserung.

Die Ereignisse haben sich rund um Covid-19 in den vergangenen Wochen wieder überschlagen, und wir befinden uns in Lockdown Nummer zwei. In dieser Situation sind Wirtschaftsprognosen natürlich äußerst schwierig. Dennoch versucht IHS-Leiter Martin Kocher im Gespräch mit dem GELD-Magazin, das große Bild zu zeichnen: Er meint, dass es nächstes Jahr eine konjunkturelle Gegenbewegung geben müsste.

Im Herbst wurde praktisch die ganze Welt von stark steigenden Corona-Infektionszahlen überrollt. Wie sehen jetzt die wirtschaftlichen Auswirkungen aus?

„Jetzt gilt: Klotzen, nicht kleckern!“, meint Prof. Martin Kocher Auswirkungen der Covid-19-Pandemie

Martin Kocher: Das zweite Quartal des heurigen Jahres ist etwas besser als ursprünglich erwartet ausgefallen, trotz des natürlich massiven konjunkturellen Einbruchs. Für Österreich, Europa und fast die gesamte Welt zeichnet sich jetzt ein ähnliches Bild: Im dritten Quartal trübte sich die Situation wieder etwas ein. Das hängt natürlich mit den steigenden Infektionszahlen zusammen, die schneller als erwartet in die Höhe geschossen sind. Heute herrscht schlechte Stimmung bis hin zu Angst in der Bevölkerung. Die Corona-Bekämpfungsmaßnahmen waren und sind ja schon massiv, jetzt wächst die Befürchtung, dass noch mehr kommt. Was wiederum die Stimmung trübt: Menschen geben weniger Geld aus, der Konsum wird abgeschwächt und somit auch die Konjunkturzahlen.

Der künftige Verlauf der Pandemie scheint ja nach wie vor schwer absehbar. Wie wird es mit der Wirtschaft in diesem Umfeld weitergehen?

Martin Kocher: Wenn es keine absolut negativen Corona Szenarien gibt, muss 2021 eine konjunkturelle Gegenbewegung kommen. Die Frage ist eher, wie groß diese ausfallen wird. Wichtiger ist aber, wann wir das wirtschaftliche Niveau von 2019, also vor Ausbruch der Pandemie, wieder erreichen werden. Wohlgemerkt: Ich spreche hier nicht vom „normalen“ Wachstumspfad, sondern vom Vor-Krisen-Niveau. Das sollte im Jahre 2022 der Fall sein, wenn hoffentlich wieder mehr Sicherheit herrscht und die Gesundheitslage besser eingeschätzt werden kann.

Wie sind Sie mit den bisherigen Krisenmaßnahmen gegen die ökonomischen Auswirkungen der Covid-19-Pandemie in Österreich zufrieden?

Martin Kocher: Viele Länder haben ähnliche wirtschaftliche Programme wie Österreich gefahren – da gab es nicht viel Dissens. Der Staat muss akut eingreifen, wo Arbeitsplätze und Unternehmen gefährdet sind. Dazu zählen bekannte Maßnahmen wie Steuer-Stundungen, Haftungen, Kurzarbeit etc. Hinzu kommen Konjunkturprogramme: Steuererleichterungen, Einmalzahlungen, die Investitionsprämie, eine degressive Abschreibung und Investitionen, vor allem in den Umweltbereich. Eine interessante Zahl: 2020 sind die verfügbaren Einkommen der Österreicherinnen und Österreicher bisher nur um ein bis zwei Prozent gefallen. Das ist kein großer Einbruch und der staatlichen Hilfe zu verdanken. Alles in allem wurden in Österreich sehr beachtliche Pakete geschnürt, womit man sich im europäischen Gleichschritt bewegt. Das ist gut so, denn in dieser Situation gilt: Klotzen, nicht kleckern.

Allerdings kann es nicht ohne Folgen bleiben, wenn jetzt von Staat und den Notenbanken massenhaft Kapital aufgewendet wird …

Martin Kocher: Das stimmt, Ökonomen sagen ja: „There is no free lunch!“ Das heißt, dass es sehr wohl Auswirkungen geben wird. So kann etwa die Notenbankpolitik, Schulden zu kaufen, nicht bis ins Unendliche fortgesetzt werden. Sollten die Zinsen irgendwann wieder einmal steigen, wird die strukturelle Schuldeneindämmung schwierig, und die Notenbanken können dann nicht so einfach aus der Politik des billigen Geldes aussteigen. Ich gehe hier von der Perspektive aus, wenn wir einmal fünf bis zehn Jahre in die Zukunft blicken.

Apropos Schulden, droht hier in Österreich die Überlastung?

Martin Kocher: Hierzulande macht mir das Schuldenniveau noch keine großen Sorgen. Die Staatsschuldenquote liegt bei rund 85 Prozent des BIP, was ungefähr dem Niveau nach der großen Finanzkrise von 2008 entspricht. Die Normalisierung hat damals Jahre gedauert, jetzt werden wir wahrscheinlich noch länger brauchen.

Dennoch: Wie soll der riesige Schuldenberg wieder abgetragen werden?

Martin Kocher: Ländern wie Österreich fällt das vergleichsweise leicht. So konnte die Republik ja sehr günstig Schulden aufnehmen, und wenn sich die wirtschaftliche Lage nach der Corona-Krise wieder verbessert, steigen die Wachstumsraten und Steuereinnahmen. Der Schuldenabbau geht dann im Idealfall voran, ohne große gesellschaftliche Konflikte zu provozieren. In anderen Staaten ohne wirkliches Produktivitätswachstum ist das schwieriger. Italien ist ein Beispiel dafür, solche Länder müssen wieder wettbewerbsfähiger werden. Griechenland hat das teilweise geschafft, aber mit einer enormen Kraftanstrengung.

Was in Österreich allerdings aufsteigt, ist die Angst vor stark steigender Inflation. Zu Recht?

Martin Kocher: Nein, an der Inflationsfront sehe ich in den nächsten zwei bis drei Jahren überhaupt keine Gefahr, weil es einfach zu wenig Nachfrage nach Kapital gibt. Wenn diese wieder anspringt, wird das erst später passieren und dann auch keinen Teuerungs-Schock auslösen. Aber ein starker Preisanstieg irgendwann ist durchaus möglich.

Besteht letztlich nicht die Gefahr, dass Corona andere wichtige Themen überlagert? Man denke nur an die Bekämpfung des Klimawandels …

Martin Kocher: Wenn wir hier den Blick auf Österreich lenken, wurde sehr wohl versucht, das Notwendige mit dem Nützlichen zu verbinden. Auch wichtige Bereiche wie Klimaschutz und Digitalisierung wurden in die Hilfspakete miteingebunden. Allerdings geht natürlich in dieser Akutphase der Krisenbekämpfung nicht alles auf einmal.

Worauf sollten wir unsere Aufmerksamkeit, mit oder ohne Corona, lenken?

Martin Kocher: Ein wichtiger Punkt ist der Umbau des Steuersystems in Richtung Ökologisierung. Außerdem sollte im Bereich Bildung das Geld effizienter verwendet werden. Ein weiterer „Dauerbrenner“ ist die Senkung der Arbeitskosten. Und nicht zuletzt gibt es bei der Demografie Herausforderungen. Im Zuge der Alterung müssen die Kosten für Pflege und Gesundheit bedacht werden.

Prof. Martin Kocher wurde 1973 in Salzburg geboren, sein Studium der Volkswirtschaftslehre schloss er an der Universität Innsbruck ab. Seine akademische Lauf bahn führte ihn unter anderem an die Volkswirtschaftliche Fakultät der Universität München und an die Queensland University of Technology (Brisbane). Seit 2016 ist Kocher Wissenschaftlicher Direktor des Instituts für Höhere Studien in Wien. Außerdem ist er seit Oktober 2017 Professor für Verhaltensökonomik mit Anwendungen in der Wirtschaftspolitik Österreichs am Institut für Volkswirtschaftslehre und am Vienna Center for Experimental Economics der Universität Wien. Einige seiner Forschungsschwerpunkte sind Verhaltensökonomie und Experimentelle Ökonomik. www.ihs.ac.at

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Mag. Harald Kolerus GELD-Magazin / Redakteur

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