Sind Versicherungen überreguliert?
Die Versicherungslandschaft sollte durch die Richtlinie IDD kundenfreundlicher gestaltet werden. Ob das wirklich gelungen ist, besprach das GELD-Magazin mit dem Experten Günther Ritzinger.
Etwa ein Jahr lang ist die Versicherungsvertriebsrichtlinie IDD in Kraft. Eigentlich sollte sie die Praxis des Vertriebs neu regeln, und zwar ganz im Sinne der Kunden. Martktteilnehmer klagen allerdings über Mängel: Die vom Gesetzgeber anvisierte Klarheit wird vermisst und ein erhöhtes Maß an Komplexität mache das Leben für Versicherungsvermittler schwer. Stimmt das? Günther Ritzinger, geschäftsführender Gesellschafter von Kapitalmarkt Consult hat für die neue Richtlinie sowohl Lob als auch Kritik parat.
Was ist IDD in kurzen Worten?
Die Versicherungsvertriebsrichtlinie IDD bildet einen europaweit einheitlichen Rechtsrahmen für den Vertrieb von Versicherungsprodukten. Wesentliche Zielsetzungen des Regimes sind die Verbesserung der Kundenaufklärung vor Dienstleistungserbringung sowie die Erhöhung der Dienstleistungs- und Produktqualität.
Was wurde bisher in der Praxis erreicht?
Die IDD war hierzulande bis 1. Oktober 2018 umzusetzen. Das ist nicht in allen notwendigen Aspekten zeitgerecht geglückt. Heute aber stehen wir vor dem finalisierten Transfer in nationales Recht samt den wesentlichen Nebenschauplätzen. Auch die Umsetzung durch die Versicherungsvertreiber selbst, allen voran der Versicherungen, Makler und Agenten, ist, soweit ich das beobachten kann, weit gediehen. Die Nachricht, dass Versicherungsvermittlung ohne Beratung unter IDD de facto kaum noch möglich ist, ist in der Branche ebenso angekommen wie die berechtigte Angst vor der hohen Messlatte des „best advice“. Über weite Strecken haben Betroffene mittlerweile Prozesse implementiert, die diesen Umständen bestmöglich Rechnung tragen sollen. Gleiches gilt für die Abbildung der Informationspflichten gegenüber Kunden: Die notwendigen Abläufe sind bekannt, geklärt und in den Unternehmen im Wesentlichen bereits definiert.
Wo es allerdings oft noch hapert, ist die vollständige und korrekte Dokumentation der konkreten Informationserteilungen und Beratungsgespräche. Die verpflichtende Einführung von Produkt-überwachungsvorkehrungen, die wir besser unter dem Titel „Product Governance“ kennen, war natürlich ein Novum für die Branche. Weniger produktbezogen inhaltlich, als vielmehr in Bezug auf die gebotenen Abläufe und erforderlichen Dokumentationen. Fragen zu diesem Themenblock vernehme ich vor allem immer wieder in Bezug auf den gebotenen Informationsaustausch zwischen Produktherstellern und Vertreibern. Jedenfalls positiv anzumerken ist, dass wir in Österreich nach längerem Tauziehen schließlich doch zu finalen Standesregeln und Weiterbildungsplänen für Versicherungsvermittler finden konnten. Das schafft bei den Betroffenen letztlich für ein gutes Stück Rechtssicherheit und Orientierung
Was gibt es an der IDD zu kritisieren?
Wie bei allen Regulierungen so hat auch bei IDD der Gesetzgeber einiges sicherlich gut, einiges aber auch nicht so gut gemacht. Die neue Statusklarheit zum Beispiel, also die Pflicht der Vermittler, sich eindeutig als Makler oder Agent zu deklarieren, war von Beginn an ein sensibles Thema. Und ist im Übrigen nach wie vor umstritten. Das berechtigte Interesse des Kunden, zu wissen, ob er einem Makler gegenüber sitzt, der seine Interessen vertritt, oder aber einem Agenten, der einer Versicherung zuzurechnen ist, ist allerdings legitim. Insofern halte ich diesen Schritt auch grundsätzlich für sinnvoll. Selbiges gilt für die standardisierten Produktinformationen, wie LIPID, KID und & Co.: Der Gesetzgeber verfolgt den durchaus sinnvollen Ansatz der Kompaktinformation. Kundeninformationen MÜSSEN kurz und prägnant sein. Viel-Seiter liest der Kunde im Regelfall nicht, das anzunehmen wäre praxisfern. Allerdings sollten Kompaktinformationen das Wesentliche auch wirklich verständlich darlegen, und zwar gerade für den fachlich nicht einschlägig Ausgebildeten. Da haben wir sicherlich noch Aufholbedarf
Oft ist in Zusammenhang mit IDD von Überregulierung die Rede …
Dass Versicherungsvertreiber durch das IDD-Regime nun „überreguliert“ seien, stimmt so generell sicherlich nicht. „Komplex“, teils „schwer verständlich“ und teilweise auch „praxisfern“, das sind aber Attribute, die sich die IDD vermutlich schon gefallen lassen muss. Ein Beispiel: IDD gibt Vertreibern gewisse chronologische Pflichtabläufe vor, wie die Erteilung von allgemeinen Auskünften an den prospektiven Versicherungsnehmer, die daran anknüpfende Durchführung eines Wunsch- und Bedürfnistests sowie die Erteilung von Produktinformationen und so weiter. Die so geforderte Chronologie führt nicht nur oftmals zu einem deutlichen „Stocken“ des Vertriebs- und Betreuungsprozesses, sondern torpediert auch nicht selten die expliziten Kundenwünsche. Auch im Umstand, dass es faktisch kaum noch die Möglichkeit eines „execution only“ bzw. einer reinen Vermittlungsleistung ohne vorhergehende Beratung gibt, ist kritisch zu sehen. Schließlich halte ich einige der Messlatten, die der Gesetzgeber an Vertreiber anlegt, für zu hoch.
Können Sie ein Beispiel nennen?
Von meinem Versicherungsvermittler im Rahmen der Beratung „suitable advice“ zu verlangen, also, dass mir der Dienstleister ein Produkt anrät, dass für mich geeignet ist, klingt für mich nach einer fairen und vernünftigen Erwartungshaltung. In Bezug auf das „best advice“ im Sinne der IDD hingegen, also die Anforderung, dass mir der Vermittler DAS beste am Markt verfügbare Produkt anrät, würde ich das so nicht unterschreiben. Auch das vom Gesetzgeber deklarierte Ziel der gebotenen Produktinformation, wonach bereits durch diese der Kunde in die Lage versetzt werden soll, eine „wohlinformierte Entscheidung“ treffen zu können, scheint mir zu hoch bzw. nicht den realen Verhältnissen entsprechend.
Trotz der Regulierungen kommt es immer wieder zu
Finanzskandalen …
Auf den ersten Blick mag das verwunderlich erscheinen, mich überrascht es nicht. Die Skandale der jüngeren und älteren Vergangenheit wurden regelmäßig von „vifen kriminellen Geistern“ heraufbeschworen. Regulierung ist aber nicht in der Lage, kriminellen Erfolg stets und absolut zu vereiteln. Eine solche Erwartungshaltung ist zu hoch gegriffen. Sie kann es kriminellen Menschen aber deutlich erschweren, ihre Vorhaben umzusetzen. Wir sind dank der heutigen Rahmenbedingungen zumindest schon mal so weit, dass ein Einzelner im Unternehmen kaum noch unentdeckt sein Unwesen treiben kann. Es braucht zumindest einen zweiten, wenn nicht gar mehrere Mittäter. Das ist schon ein Erfolg. Eine weitere Verschärfung der Regulierung kann allerdings nicht das primäre Heilsmittel zur besseren Skandalprävention für die Zukunft sein. Die trickreichen Protagonisten schaffen es zumeist auf erstaunliche Weise, ihr Kontrollumfeld auszuhebeln. Die Maßnahmen reichen dabei von despotischem Verhalten und Einschüchterung bis hin zu Hinhalte-Taktiken, Beruhigung und Beschwichtigung. Wirksame Früherkennung sollte daher jedenfalls auch auf menschliches Verhalten fokussieren. Das ist aber gerade für eine staatliche Aufsicht leichter gesagt als getan: Zwischenmenschliches Verhalten ist weit schwerer mess- und greifbar zu machen, als etwa Unternehmenskennzahlen. Jedenfalls aber müssen wir gesamtheitlich an einer Kultur arbeiten, in der die unternehmensinternen Kontrollinstanzen, wie Compliance, Revision oder auch der Aufsichtsrat, sich ihrer Verantwortung noch mehr bewusst werden und noch rigoroser ein entsprechend kooperatives Verhalten ihres zu kontrollierenden Umfelds einfordern.
Zur Person: Mag. Günther Ritzinger ist geschäftsführender Gesellschafter der 2010 gegründeten Wiener Beratungsfirma Kapitalmarkt Consult (KCU). Seine beruflichen Erfahrungen sammelte er zuvor unter anderem als leitender Mitarbeiter der Finanzmarktaufsicht (FMA) sowie als leitender Mitarbeiter von Banken und Wertpapierfirmen in den Bereichen Recht, Compliance, Interne Revision und Risikomanagement. Ritzinger gilt zu Recht als hervorragender Kenner der heimischen Versicherungslandschaft und beobachtet Neuerungen wie die IDD sehr genau.