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26. September 2022

Klimaexperte: Zivilisation im Chaos

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Mag. Harald Kolerus GELD-Magazin / Redakteur

Wenn wir unseren verschwenderischen Lebensstiel weiter beibehalten, könnte das die Zivilisation ins Chaos führen. Das meint Reinhard Steurer, Experte für Klimapolitik an der Universität für Bodenkultur, im Gespräch mit dem GELD-Magazin.

CO2 Klimawandel

Steurer stellt dabei der heimischen Klimapolitik nicht das beste Zeugnis aus und mahnt zu mehr Entschlossenheit. Denn das Extremwetter von heute ist nur ein lauer Vorgeschmack auf die Gefahren von morgen.

Das Wetter scheint immer extremer zu werden, ist das die neue Normalität? 

Was wir jetzt sehen, ist der harmlose Zwischenstand einer Entwicklung hin zu immer neuen Extremen. „Das hat es noch nie gegeben“ wird sozusagen die neue Normalität, solange wir weiter CO2 in die Luft zu blasen. Was jetzt bei 1,2 Grad globaler Erhitzung passiert, ist also nur ein Vorgeschmack auf das, was uns bei zwei oder drei Grad erwartet. Drei Grad mehr global, fünf bis sechs mehr in Österreich, darauf bewegen wir uns nach wie vor zu. Wenn wir das nicht rasch korrigieren, dann würde unsere Zivilisation im Chaos versinken.

Reinhard Steurer, Experte für Klimapolitik an der Universität für Bodenkultur
Professor für Klimapolitik an der Universität für Bodenkultur (BOKU) Wien

Könnte uns aber unser subjektiver Eindruck täuschen, und extreme Hitze etc. sind über sehr lange Zeiträume gesehen nichts Außergewöhnliches?

Ja, unser subjektiver Eindruck täuscht uns, aber leider genau umgekehrt. Wir gewöhnen uns an neue Wetterextreme sehr rasch und wenn ein Sommer mal kühler ausfällt als mittlerweile üblich, dann fragen sich viele: wo ist die Klimakrise? Tragisch ist, dass wir diese deshalb noch viele Jahre weiter eskalieren lassen und uns irgendwann nach dem sehr heißen Sommer 2022 zurücksehnen werden.

Der Klimawandel bzw. dessen Auswirkungen scheinen sich zu beschleunigen, waren frühere Prognosen zu milde?

Obwohl die meisten Prognosen aus der Wissenschaft recht gut stimmen, gibt es tatsächlich eine Konstante: Wenn Wissenschaftler mal daneben liegen dann stets so, dass das Tempo und die Intensität der Eskalation unterschätzt wurde. Das Problem ist aber nicht die Wissenschaft. Das Problem ist, dass die meisten Medien selbst über eindringliche wissenschaftliche Warnungen zu nebensächlich oder zu verharmlosend berichten. Beispiele dafür sehe ich fast jeden Tag. Unsere Situation erinnert schon sehr an den Film „Don’t look up“. Wir leben in einer Klima-Illusion. Je später wir diese hinter uns lassen, umso härter wird es uns treffen.

Wie beurteilen Sie die Klimapolitik in Österreich? Sie haben in diesem Zusammenhang von „Scheinklimaschutz“ gesprochen … 

Österreich ist eines von wenigen Ländern in der EU, das seine Emissionen seit 1990 nicht reduzieren konnte, trotz 30 Jahren Klimapolitik. Wie kann das sein? Wir haben so getan, als könnten wir das Problem mit kleinen freiwilligen Maßnahmen wie einer Solarförderung lösen. Trotz wiederholt verfehlter Ziele wird diese Politik von WählerInnen bis heute belohnt. Warum? Weil es uns als Gesellschaft nie primär darum ging, Emissionen zu vermeiden. Es ging primär darum, unseren fossilen Lebensstil möglichst billig aufrechtzuerhalten, auch mit Scheinklimaschutz, bei dem wir nur so tun, als wäre uns das Thema wichtig, ob bei politischen Wahlen oder beim Einkaufen. So haben wir über Jahrzehnte eine sehr große Rechnung angeschrieben, die nun in Raten fällig wird. 

Was muss sich ändern, um den Klimawandel zu stoppen, sind die Ziele von Paris überhaupt ambitioniert genug?

Die Ziele von Paris sind ambitioniert genug, was nicht passt ist die Umsetzung. Was bräuchte es? Entweder ein technologisches Wunder oder eine gesellschaftliche Bewegung, die in sämtlichen Ländern eine bessere Klimapolitik von unten fordert bzw. erzwingt. Da es ziemlich riskant ist, unsere Zukunft von Wundern abhängig zu machen, wäre es für uns alle besser, wenn Fridays for Future und ähnliche Bewegungen wieder starken medialen Druck aufbauen könnten. Ohne diesen Druck wird der nötige Wandel zu langsam sein.

Welche Auswirkungen hat der Ukraine-Krieg auf die Klimapolitik?

Zum einen lässt der Krieg und seine Folgen weniger politischen Platz für Klimapolitik. Einmal mehr gilt es, eine akutere Krise zu lösen. Zum anderen werden die hohen Preise für Fossilenergie den Umstieg auf Erneuerbare mehr beschleunigen, als das Klimapolitik bislang vermocht hat. Außer sämtliche Preisanstiege werden gedeckelt, dann fiele dieser wichtige Lenkungseffekt weg. Wenn wir es richtig machen, dann wird Putin als Klimaschützer wider Willen in die Geschichte eingehen.

https://boku.ac.at

Harald Kolerus 2-e1666618640728
Mag. Harald Kolerus GELD-Magazin / Redakteur

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