Gold: Unterschätztes Risiko?
Gold gilt als sicherer Anlegerhafen. Sein Preis ist daher in den vergangenen Monaten immer höher geklettert. Doch genau das, was Gold zum Edelmetall macht – es ist selten – wird nun zum Risiko. Lieferengpässe könnten in Panikreaktionen und Milliardenverlusten münden.
Die erhöhte globale Unsicherheit sowie Goldkäufe der Zentralbanken lassen das Edelmetall glänzen. Sein Preis liegt heute rund ein Drittel höher als vor zwölf Monaten und zwei Drittel höher als vor drei Jahren. Besonders gefragt sind Finanzinstrumente, die eine tatsächliche Lieferung von physischem Gold vorsehen und nicht nur eine Barausgleichszahlung. Die große Nachfrage birgt allerdings Risiken: In ihrem aktuellen Financial Stability Review warnt die EZB davor, dass die Zahl der Gold-Lieferverpflichtungen für Januar 2025 einen neuen Höchststand erreicht hatte – ähnlich wie vor der Finanzkrise 2007. Dies führt zu Engpässen bei der physischen Verfügbarkeit des Edelmetalls.
Einige Warnsignale
Ein weiteres Warnsignal ist laut Thorsten Fischer, Managing Director bei Moventum, der verstärkte Goldtransport zwischen den großen Handelszentren. London, das traditionell als bedeutender Lagerplatz fungiert, verzeichnet Abflüsse. US-Investoren sind bereit, höhere Preise in New York zu zahlen mit einer Differenz von teils über 50 US-Dollar pro Unze. Diese Preisunterschiede ermöglichen Arbitragegeschäfte großer Banken, die auf den Handel, die Lagerung und die Abwicklung von Edelmetallen spezialisiert sind, die komplexe Absicherungsstrategien fahren. Das Risiko dabei: Wenn das Gold nicht rechtzeitig geliefert werden kann, drohen erhebliche Verluste. Darüber hinaus können auch geopolitische Spannungen die Nachfrage nach dem Edelmetall steigern. Sollte etwa Russland über Drittparteien große Mengen physischen Goldes abrufen, könnte dies die Lieferkapazitäten internationaler Banken übersteigen. Dies würde Preisexplosionen und Panikreaktionen an den Finanzmärkten nach sich ziehen. Parallel dazu baut China seine Goldreserven kontinuierlich aus, um sich vom US-Dollar unabhängiger zu machen.
Die größte Gefahr sieht die EZB in einem Short Squeeze: Investoren setzen auf einen fallenden Goldpreis und verkaufen daher auf Termin, ohne es zu besitzen. Wenn dann der Preis wider Erwarten steigt, geraten Leerverkäufer unter Druck und kaufen Gold, um ihre Verluste zu begrenzen. „Wenn die physische Lieferung nicht termingerecht erfolgt, sind teure Nachkäufe unausweichlich“, erklärt Fischer. Das kann für Banken Verluste in Milliardenhöhe bedeuten, im schlimmsten Fall drohen Insolvenzen. Besonders kritisch ist, dass viele dieser Geschäfte außerbörslich abgewickelt werden, was die Risikoübersicht für Aufsichtsbehörden und Marktteilnehmer erschwert.
Als Beimischung sinnvoll
Was bedeutet das für Finanzberater und ihre Kunden? „Produkte mit physischem Lieferanspruch sollten genau analysiert werden“, so Fischer. Wer tatsächlich physisches Gold will, sollte es auch selbst besitzen – nicht nur auf dem Papier. Zudem sollte geklärt werden, wo das Edelmetall liegt, wer die Lieferung garantiert und wie schnell es verfügbar ist. „Das sind entscheidende Fragen bei der Auswahl von Anlageprodukten“, sagt Fischer. Meiden sollte man komplexe Derivate, insbesondere außerbörsliche Produkte. Wer sie nutzt, sollte die Struktur und Sicherheiten genau verstehen. Und schließlich muss das Timing beachtet werden – in geopolitisch angespannten Zeiten oder bei Marktenge kann physisches Gold kurzfristig schwer oder nur teuer verfügbar sein. „Langfristige Planung“, so Fischer, „ist hier der Schlüssel.“
Als Beimischung im Portfolio bleibt Gold aber nach wie vor sinnvoll unter anderem als Absicherung gegen Inflation und Währungsschwächen. „Die Warnung der EZB ist ein Weckruf für mehr Transparenz, für Vorsicht bei Derivaten und für strategische Weitsicht – sowohl für institutionelle als auch private Anleger“, sagt Fischer.
Moventum AM/HK