Deutschland: Übergewichten
Deutschland steht laut Robert Lancastle, Fondsmanager bei J O Hambro, vor einem wirtschaftlichen Wendepunkt. Es nehme eine besonders Rolle ein, gegenüber anderen europäischen Staaten sei es sinnvoll, Deutschland überzugewichten.
„Während Länder wie Frankreich und Großbritannien stärker von politischen Unsicherheiten und Haushaltsrisiken belastet sind, verfügt Deutschland über ausreichend fiskalische Kapazität, um großvolumige Investitionen anzustoßen und industrielle Strukturen neu aufzubauen.“
Made for Germany

„Ein wichtiger Katalysator ist die Initiative Made for Germany, bei der sich 61 private Unternehmen und Banken zu Investitionen in Höhe von rund 621 Milliarden Euro bekannt haben. Diese Zusage ist außerhalb Deutschlands bislang kaum wahrgenommen worden und wird aus unserer Sicht vom Markt noch nicht ausreichend reflektiert. Parallel dazu besteht ein struktureller Aufholbedarf von etwa 30 Jahren in Bereichen wie Energie und Verteidigung, nachdem Deutschland über Jahrzehnte stark von externer Infrastruktur und Sicherheitsgarantien profitiert hat. Dies erfordert einen deutlich höheren Investitionspfad, unter anderem auch im Verteidigungsetat, der sich von früher etwa 1 Prozent des BIP eher in Richtung 3 bis 5 Prozent bewegen muss, um den Rückstand zu verringern.“
Chancen und Risken
„Auf der Chancenseite steht ein langfristiger Investitionszyklus in reale Vermögenswerte in Deutschland, der sich von der Situation in vielen anderen europäischen Ländern unterscheidet. Während in den vergangenen Jahren der Großteil des Wachstums und der Bewertungsexpansion im US-Markt stattgefunden hat, schätzen wir, dass selbst bei Bereinigung um Wachstums- und Qualitätsunterschiede ein Bewertungsabstand von rund 30 Prozent zwischen vergleichbaren Unternehmen in den USA und in Märkten wie Europa besteht.
Gleichzeitig verschiebt sich der Wachstumsfokus: Europa und insbesondere Deutschland verschiebt sich in unserer Analyse von einem klassischen Value-Markt hin zu einem realwirtschaftlich getragenen Growth-Case. Wachstum entsteht dort, wo reale Infrastruktur und industrielle Kapazitäten aufgebaut werden. Dem gegenüber stehen Risiken aus der Umsetzung: politische Prozesse, Genehmigungsverfahren und die notwendige Umstellung bestehender Industrien, etwa im Automobilsektor, brauchen Zeit. Zudem reagieren Märkte oft kurzfristig und ungeduldig, während wir diesen Zyklus klar im Horizont der Jahre 2026 und 2027 und darüber hinaus verorten.“
Fokus auf deutsche Infrastruktur
„In unserer Allokation spiegelt sich diese Einschätzung deutlich wider. Der Anteil deutscher Titel liegt bei 10 bis 15 Prozent und damit spürbar über dem, was man bei einem globalen Ansatz erwarten würde. Gleichzeitig ist unser US-Anteil mit rund 40 Prozent bewusst deutlich unter dem üblichen Vergleichsmaßstab von etwa 65 Prozent gehalten. Dies ist weniger eine negative Sicht auf die USA als vielmehr Ausdruck der Überzeugung, dass es in Europa und insbesondere in Deutschland attraktive Qualität mit günstigeren Bewertungen und zusätzlichen strukturellen Wachstumstreibern gibt. Innerhalb Deutschlands konzentrieren wir uns auf Unternehmen, die direkt von steigenden Investitionen in reale Vermögenswerte profitieren. Dazu zählen unter anderem E.ON als großer Netzbetreiber im Energiesektor, Siemens als Kernanbieter von Industrieautomatisierung und Technologielösungen, Deutsche Börse als zentrale Marktinfrastruktur für Finanzierung und Handel sowie im weiteren europäischen Kontext kapitalintensive Titel aus den Bereichen Zement, Baustoffe und Infrastruktur, etwa Heidelberg Materials und Holcim.
Diese Positionen bilden in Summe ein Cluster, das etwa 10 bis 15 Prozent des Portfolios ausmacht. Dies entspricht unserer Annahme, dass Deutschland vor einem längeren Investitions- und Modernisierungszyklus steht, während ein Teil des Marktes noch stark auf aktuelle Konjunkturschwächen und sektorale Probleme fokussiert ist. Aus unserer Sicht ist genau diese Differenz zwischen kurzfristiger Wahrnehmung und langfristigem, bereits zugesagtem Investitionsvolumen das zentrale Argument für eine Übergewichtung Deutschlands gegenüber dem restlichen europäischen Markt.“
J O Hambro/HK