GELD-Magazin, September 2022

Hoffen auf einen Börsenfrühling Herr Dr. Schmieding, wenn Sie das erste Halbjahr an den Börsen Revue passieren lassen. Was war da los? In Summe war das erste Halbjahr unerwartet schwierig. Für einen guten Start sorgte zwar, dass wir die Welle der Pandemie relativ gut überstehen konnten und dass es Impffortschritte gab. Die Frühindikatoren für die Wirtschaft waren gerade in Europa zum Jahresbeginn oftmals auf Rekordständen. Es sah nach einem kräftigen Wachstumsschub aus. Und dann kam Putins Krieg. Ein großer Schock für die Welt und insbesondere für Europa. Mit einem Inflationsschub bei Energie und Nahrungsmittelpreisen, der natürlich auf die Notenbanken erheblichen Druck ausgeübt hat und immer noch ausübt, diese Inflation zu bekämpfen. Die Weltwirtschaft wurde und wird weiterhin durch die sehr hohen Preise in die Zange genommen, weshalb die Notenbanken jetzt ihre Zinspolitik stark straffen. Damit sieht es leider so aus, dass die Konjunktur in den kommenden Quartalen deutlich in die Knie gehen wird. Die Notenbanken haben nur die Wahl zwischen Pest und Cholera. Entweder sie bekämpfen die Inflation oder die Rezession? Ja, und da die Inflationsbekämpfung ihre Hauptaufgabe ist, werden sie sich zunächst darauf konzentrieren und tatsächlich die Wirtschaft weiter schwächen – den Konsum durch höhere Zinsen zu reduzieren, um so schnelle Erfolge gegen die Inflation zu erreichen. Gerade in den USA plant die Notenbank offenbar ein relativ aggressives Vorgehen, was man dort auch halbwegs verstehen kann. Denn in den USA war die Konjunktur, anders als in Europa, im vergangenen Jahr tatsächlich heiß gelaufen – vor allem als Folge der großzügigen Stimulus-Schecks, womit die privaten Verbraucher in den USA mehr Geld zur Verfügung hatten als in den beiden Jahren der Pandemie 2020 und 2021. In den USA muss die Fed daher auf die Bremse treten. In der Eurozone denke ich sollte die EZB vorsichtiger vorgehen, denn sie ist für die derzeitige Inflation nicht verantwortlich. Was immer sie tut, wird nichts an den Erdgaspreisen ändern. Aber auch die Europäische Zentralbank muss sich darauf einrichten, dass dauerhafter Arbeitskräftemangel zu einem höheren Lohndruck führen wird, dass die Kosten der Energiewende dauerhaft auch bei den Verbrauchern ankommen werden und dass der Abgesang auf China als Billiganbieter auch auf Dauer zu etwas mehr Inflation führt. Und da passt es nicht in die Landschaft, bei uns Zinsen nahe Null zu haben. Was erwarteten Sie sich nun vom zweiten Halbjahr? Das zweite Halbjahr dieses Jahres wird schwierig, gerade für Europa. Wir bekommen noch einen deutlichen Anstieg der ErdDie Kapitalmärkte haben längst eine Rezession eingepreist, aber noch keine Gas-Rationierungen. Holger Schmieding von der Bank Berenberg rechnet nach dem hartenWinter wieder mit einem Börsenfrühling. JUL IA KISTNER Credits: beigestellt; jes2uphoto/stock.adobe.com gaspreise für private Verbraucher. Die sehr gute Sommersaison im Tourismus wird vielleicht noch im dritten Quartal dafür sorgen, dass uns gute Daten aus Spanien, Portugal, Griechenland, ein bisschen aus Italien, vielleicht auch aus Österreich bei der Konjunktur helfen. Nach dem Ende des Sommertourismus, denke ich, wird dann ab September oder Oktober der Rezessionsdruck kräftig zunehmen. Für die Eurozone erwarte ich im dritten Quartal einen deutlichen Rückgang der Wirtschaftsleistung – und nach einem kleinen Rückgang im vierten Quartal dann noch einmal einen deutlichen Rückschlag Anfang nächsten Jahres. Es ist im Wesentlichen das Erdgasthema, das uns belastet. So könnte der Tiefpunkt der Wirtschaftsleistung im kommenden Frühjahr in der Eurozone zwei Prozentpunkte unter dem Niveau sein, das wir jetzt im zweiten Quartal dieses Jahres erreicht hatten. Sollte es bei den hohen Erdgaspreisen auch noch zu Rationierungen von Erdgas für die Industrie kommen, dann könnte es sein, dass die Rezession in der Eurozone auch 8 . GELD-MAGAZIN – September 2022 INTERVIEW . Holger Schmieding, Berenberg Bank

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