GELD-Magazin, Juli/August 2022

Wenn ein Haushalt über ein monatliches Nettoeinkommen von 2.170 Euro verfügt, hat er von Jänner bis Mai 2022 durchschnittlich 6,2 Prozent seines Einkommens im Monat wegen der Teuerung eingebüßt. Besserverdiener sind vergleichsweise weniger hart getroffen. res oder kumuliert über mehrere Jahre übertroffen, erfolgt der Auftrag an das Fi- nanzministerium, die Kalte Progression ab- zugelten. Picek: „Der Vorteil ist, dass nicht anhand der allgemeinen Inflationsrate für alle Einkommensgruppen pauschal ausge- glichen wird. Das ist gerechter, weil Nied- rigverdiener von der Teuerung stärker ge- troffen werden. Statt des Automatismus wird ein transparenter, politischer Prozess ausgelöst, in dem entschieden wird, was ge- mäß der aktuellen Situation Sinn macht. Etwa wie stark an den Steuertarifen für wel- che Einkommensgruppen geschraubt wird. Was nicht zuletzt größere politische Hand- lungsräume öffnet.“ Picek sagt weiter zu den Regierungsplänen: „Positiv sehe ich, dass ein Drittel als Spielraum übrigbleibt, um zu ge- stalten. Negativ ist, dass es keine Gegenfi- nanzierung gibt.“ „Fiskalische Lücke“ Simon Loretz, Senior Economist am WIFO, meint wiederum, dass ökonomisch gesehen ein reiner Automatismus nicht das Schlech- teste sei, aber auch mit dem von der Bun- desregierung getroffenen Kompromiss kann er sich anfreunden. Allerdings habe sich die Politik damit auch ein Problem geschaffen: „Die automatische Anpassung der Steuer- stufen an die Inflation führt zu weniger Ein- nahmen, die Indexierung der Sozialleistun- gen bedeutet wiederum höhere Ausgaben. Sprich: Die Einnahmen steigen langsamer als die Ausgaben, was zu einer fiskalischen Lücke führt und es an anderen Stellen zu Einsparungen kommen muss.“ Wobei eines dem Experten in der Diskussion prinzipiell doch etwas ärgert: „Die Auswirkung der Kalten Progression wird zumeist über meh- rere Jahre hinweg kumuliert für ganz Öster- reich ausgewiesen. Logisch, dass hier Milli- ardenbeträge zusammenkommen. Die vor- gestellten Maßnahmen zur Bekämpfung der Kalten Progression werden den Durch- schnittsverdiener mit vielleicht 15 Euro mo- natlich entlasten. Soll heißen: Den Staat ko- stet das sehr viel, der Einzelne bemerkt aber fast gar nichts.“ Wichtig wäre es für Loretz, die Senkung der Lohn-Nebenkosten nicht aus den Augen zu verlieren, denn sie üben in Wirklichkeit die größere Belastung für Arbeitnehmer und -geber aus als die Ein- kommensteuer. Hier hätte der aktuelle Plan der Regierung wenig zu bieten: Nur drei Zehntel-Prozentpunkte würden die Lohn- Nebenkosten durch die angekündigten Än- derungen bei FLAF und Unfallversiche- rungs-Beiträgen fallen. „Eine deutlichere Senkung der Lohn-Nebenkosten würde je- doch eine anderweitige Finanzierung der Sozialleistungen bedingen“, so Loretz. Kein Ende der Geschichte Wie man es dreht und wendet: Das Gelbe vom Ei ist die „österreichische Lösung“ nicht. Vor allem zu den Lohnkosten muss noch viel diskutiert werden. Kucsera fasst zusammen: „Die Abschaffung der Kalten Progression ist keine Entlastung, sondern das Abstellen einer geheimen Steuererhö- hung. In der Europäischen Union wird Ar- beit nur in Belgien und Deutschland stärker belastet als in Österreich. Gemessen an den Arbeitskosten haben Österreicher die dritt- niedrigsten Nettolöhne in der industrialisier­ ten Welt. Würden die heimischen Arbeit- nehmer so belastet werden wie ihre nieder- ländischen Kollegen, blieben ihnen 673 Euro netto mehr im Monat.“ „Die Bundesregierung hätte die Kalte Progression komplett und automatisiert abschaffen sollen.“ Dénes Kucsera, Ökonom Agenda Austria Einschnitt: Inflation trifft Geringverdiener hart Quelle: Statistik Austria, Agenda Austria Verlust durch die Inflation, Anteil am jeweiligen Haushaltsnettoeinkommen Rest Verkehr Wohnen und Energie Ernährung 1% 2% 3% 4% 5% 6% 2.170,- Euro 1,4% 0,8% 2,2% 1,8% 6,2% 3.470,- Euro 1,3% 0,7% 1,7% 1,4% 5,1% 5.190.- Euro 1,3% 0,5% 1,4% 1,5% 4,7% 0% 7% „Statt automatischer Anpassung soll beim Überschreiten eines Grenzwerts ein politischer Prozess gestartet werden.“ Oliver Picek, Chefökonom am Momentum Institut „Die automatische Anpassung der Steuerstufen an die Inflation führt zu weniger Einnahmen.“ Simon Loretz, Senior Economist amWIFO Juli/August 2022 – GELD-MAGAZIN . 17

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