GELD-Magazin, November 2020

ZUR PERSON Prof. Martin Kocher wurde 1973 in Salzburg geboren, sein Studium der Volkswirtschaftslehre schloss er an der Universität Innsbuck ab. Sei- ne akademische Lauf bahn führte ihn unter anderem an die Volkswirt- schaftliche Fakultät der Universität München und an die Queensland Uni- versity of Technology (Brisbane). Seit 2016 ist Kocher Wissenschaftlicher Direktor des Instituts für Höhere Stu- dien in Wien. Außerdem ist er seit Ok- tober 2017 Professor für Verhaltens- ökonomik mit Anwendungen in der Wirtschaftspolitik Österreichs am In- stitut für Volkswirtschaftslehre und am Vienna Center for Experimental Economics der Universität Wien. Ei- nige seiner Forschungsschwerpunkte sind Verhaltensökonomie und Experi- mentelle Ökonomik. rinnen und Österreicher bisher nur um ein bis zwei Prozent gefallen. Das ist kein groß- er Einbruch und der staatlichen Hilfe zu verdanken. Alles in allem wurden in Öster- reich sehr beachtliche Pakete geschnürt, womit man sich im europäischen Gleich- schritt bewegt. Das ist gut so, denn in dieser Situation gilt: Klotzen, nicht kleckern. Allerdings kann es nicht ohne Folgen bleiben, wenn jetzt von Staat und den Notenbanken massenhaft Kapital aufge- wendet wird ... Das stimmt, Ökonomen sagen ja: „There is no free lunch!“ Das heißt, dass es sehr wohl Auswirkungen geben wird. So kann etwa die Notenbankpolitik, Schulden zu kaufen, nicht bis ins Unendliche fortgesetzt werden. Sollten die Zinsen irgendwann wieder ein- mal steigen, wird die strukturelle Schulden- eindämmung schwierig, und die Notenban­ ken können dann nicht so einfach aus der Politik des billigen Geldes aussteigen. Ich gehe hier von der Perspektive aus, wenn wir einmal fünf bis zehn Jahre in die Zukunft blicken. Apropos Schulden, droht hier in Öster- reich die Überlastung? Hierzulande macht mir das Schuldenniveau noch keine großen Sorgen. Die Staatsschul- denquote liegt bei rund 85 Prozent des BIP, was ungefähr dem Niveau nach der großen Finanzkrise von 2008 entspricht. Die Nor- malisierung hat damals Jahre gedauert, jetzt werden wir wahrscheinlich noch län- ger brauchen. Dennoch: Wie soll der riesige Schulden- berg wieder abgetragen werden? Ländern wie Österreich fällt das vergleichs- weise leicht. So konnte die Republik ja sehr günstig Schulden aufnehmen, und wenn sich die wirtschaftliche Lage nach der Coro- na-Krise wieder verbessert, steigen die Wachstumsraten und Steuereinnahmen. Der Schuldenabbau geht dann im Idealfall voran, ohne große gesellschaftliche Kon- flikte zu provozieren. In anderen Staaten ohne wirkliches Produktivitätswachstum ist das schwieriger. Italien ist ein Beispiel dafür, solche Länder müssen wieder wettbewerbs- fähiger werden. Griechenland hat das teil- weise geschafft, aber mit einer enormen Kraftanstrengung. Was in Österreich allerdings aufsteigt, ist die Angst vor stark steigender Inflation. Zu Recht? Nein, an der Inflationsfront sehe ich in den nächsten zwei bis drei Jahren überhaupt keine Gefahr, weil es einfach zu wenig Nachfrage nach Kapital gibt. Wenn diese wieder anspringt, wird das erst später pas- sieren und dann auch keinen Teuerungs- Schock auslösen. Aber ein starker Preisan- stieg irgendwann ist durchaus möglich. Besteht letztlich nicht die Gefahr, dass Corona andere wichtige Themen überla- gert? Man denke nur an die Bekämpfung des Klimawandels ... Wenn wir hier den Blick auf Österreich len- ken, wurde sehr wohl versucht, das Not- wendige mit dem Nützlichen zu verbinden. Auch wichtige Bereiche wie Klimaschutz und Digitalisierung wurden in die Hilfspa- kete miteingebunden. Allerdings geht na- türlich in dieser Akutphase der Krisenbe- kämpfung nicht alles auf einmal. Worauf sollten wir unsere Aufmerksam- keit, mit oder ohne Corona, lenken? Ein wichtiger Punkt ist der Umbau des Steuer­ systems in Richtung Ökologisierung. Außer- dem sollte im Bereich Bildung das Geld effi- zienter verwendet werden. Ein weiterer „Dauerbrenner“ ist die Senkung der Arbeits- kosten. Und nicht zuletzt gibt es bei der De- mografie Herausforderungen. Im Zuge der Alterung müssen die Kosten für Pflege und Gesundheit bedacht werden. www.ihs.ac.at In Österreich macht mir das Verschuldungs-Niveau noch keine großen Sorgen. November 2020 – GELD-MAGAZIN . 9

RkJQdWJsaXNoZXIy MzgxOTU=