GELD-Magazin, Juli/August 2020

Staatsverschuldung in der Europäischen Union Durch einen Verzögerungseffekt am Arbeitsmarkt und einer langsamen Erholung des Konsums wird die Staatsverschuldung in der EU erst im kommenden Jahr den Gipfel mit knapp über 100 Prozent der Wirtschaftsleistung erreichen. Die vier Wege der Entschuldung Sparen und einen positiven Bud- getüberschuss erzielen: Das haben einzelne wirtschaftsstarke Länder in den vergangenen Jahren nur deshalb zusammengebracht, weil durch die Null- bzw. Negativzinsen die Finanzie- rungskosten extrem niedrig lagen. Wachstum: Durch ein starkes Wirt- schaftswachstum reduzieren sich die relativen Staatsschulden, da sich im Verhältnis Staatsschulden zum BIP der Nenner vergrößert. Inflation: Bei ausreichend hoher Infla- tionsrate bzw. besser gesagt noch bei real negativer Verzinsung kommt es nicht nur zur sukzessiven Geldentwer- tung sondern auch zu einer automa- tischen Reduzierung der Schulden. Enteignung oder Währungsreform : Hierbei wird ein bestimmter Anteil der Privatvermögen vom Staat annektiert und zur Schuldenreduzierung verwen- det – als einmalige Steuer von z.B. 20 Prozent auf Guthaben, Wertpapiere und Immobilienbesitz. Diese Idee schlug Christine Lagarde bereits vor Jahren als Chefin des IWF vor. pa jedoch in schlechter Gesellschaft. In Ja- pan liegt die Staatsverschuldung bereits bei 240 Prozent, Amerika hat die 100-Prozent- Marke 2019 überschritten und wird heuer auf rund 110 Prozent kommen. Arbeitslosenraten steigen – Steuereinnahmen sinken Das Rückgrat der Staatenfinanzierung sind die Steuereinnahmen, die jedoch wesentlich von Unternehmensgewinnen (KöSt), der Be- schäftigungsrate und vom Lohnniveau ab- hängen (ESt). Aufgrund der Coronakrise wurden die Arbeitslosenzahlen zwar durch das Kurzarbeitsmodell coupiert, was aber nichts anderes heißt, als dass Steuergelder für Löhne aufgewendet werden, denen keine Produktivität gegenübersteht. Da die Wirt- schaftserholung zäher verläuft, als ur- sprünglich erwartet, ist zu befürchten, dass gegen Jahresende viele Arbeitnehmer vom Kurzarbeitsmodell in die Arbeitslosigkeit gleiten werden. Schätzungen zufolge dürfte die Arbeitslosenquote in Österreich auf rund 15 Prozent ansteigen. Das ist der Politik auch bewusst, wonach eine Erhöhung des Arbeitslosengeldes gefordert wird, um nicht zu viele Leute unverschuldet in die Armut abgleiten zu lassen. Das wäre nicht nur eine ethische Forderung, es würde auch den Rat- tenschwanz an Konsumrückgang, Kreditaus- fällen und Deflationsdruck verkleinern. EU-Wiederaufbaufonds Nachdem die geldpolitischen Interventionen der EZB und des ESM nicht reichen bzw. nur an einen begrenzten Kreis an Nutznießern gehen, will nun auch die Europäische Kom- mission bei der Staatenfinanzierung ein- springen, um dort wiederum großzügige Wirtschaftsförderungen zu ermöglichen. Verhandelt wird der deutsch-französisch ini- tiierte EU-Wiederaufbaufonds in der Grö- ßenordnung von 750 Milliarden Euro, da- von 500 Milliarden nicht rückzahlbar, quasi eine Transferleistung der Europäischen Uni- on – und 250 Milliarden in Form von Garan- tien. Wie die 750 Milliarden Euro finanziert werden sollen, ist noch unklar: extrem lang- fristig auf jeden Fall – etwa über die näch- sten 30 oder 40 Jahre! Diskutiert werden EU-Steuern – z.B. eine Digitalsteuer, die sich angesichts drohender US-Sanktionen bis- lang niemand einzuführen wagte, eine Fi- nanztransaktionssteuer und/oder eine Plas- tiksteuer etc. Trend zur Schuldenstreckung Wie das Beispiel des EU-Wiederaufbaufonds zeigt, geht der Trend zur Finanzierung der hohen Schulden in Richtung längerer Til- gungsdauer, da die Schulden kurzfristig ein- fach nicht reduziert werden können. Die hö- heren Schulden sind langfristig leicht zu fi- nanzieren, solange die Zinsen annähernd Quelle: tradngeconomics.com/Eurostat Die Wirtschaft der Eurozone wird heuer um 8,7 Prozent schrumpfen. Eine Rückkehr zum Stand vor der Coronakrise könnte Ende 2022 wieder erreicht sein. Christine Lagarde, Präsidentin der Europäischen Zentralbank Juli/August 2020 – GELD-Magazin . 9

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