GELD-Magazin, Juli/August 2020

BRENNPUNKT . Staatsschulden und für sich für Inflation sprechende Effekt hat seinen Ursprung jedoch in einer stei- genden Verschuldung aufgrund von „Not- maßnahmen“ und weniger in höheren pro- duktivitätsfördernden Investitionen. Das ist insofern verständlich, da sich die Kapazi- tätsauslastung in der europäischen Industrie im ersten Halbjahr von 81 auf rund 70 Pro- zent reduzierte. Gepaart mit dem zu erwar- tenden schwachen Konsum dürfte die Infla- tion heuer kein Problem werden. Ausblick Letztendlich gibt es vier Wege, die Staats- schulden zu verringern: Sparen (Haushalts- überschüsse erzielen), Wachstum, Inflation und als allerletztes und unerwünschtes Mit- tel ein Haircut – also eine direkte Enteig- nung privater Vermögen. Der Weg des Spa- rens (Austerität) wurde vor allem Deutsch- land nach der Finanzkrise als Fehlentschei- dung angelastet – gerade von den notlei- denden südeuropäischen Ländern (siehe Eu- rokrise und Haircut in Griechenland). Aus diesem Grund hat in Deutschland ein Sin- neswandel stattgefunden, worauf der Vor- stoß von Bundeskanzlerin Angela Merkel im Schulterschluss mit Frankreichs Staatspräsi- denten Emmanuel Macron zu einem EU- Wiederaufbaufonds mit einer erstmaligen Vergemeinschaftung von EU-Schulden zu- rückzuführen ist. Hinsichtlich Wachstum und Inflation zur Reduzierung der Schulden sieht es hingegen mager aus. Die Schät- zungen für kommendes Wachstum gehen davon aus, dass die Ökonomien der west- lichen Länder etwa Ende 2022 wieder das Niveau von 2019 erreicht haben werden. Bleibt noch die Enteignung von Privatver- mögen: Laut Statista liegt dies in der EU pro Erwachsenem bei 154.000 Euro. Da letzt- endlich die Zeche sowieso der Steuerzahler und die Sparer berappen werden müssen, könnten kurzerhand sagen wir 20 Prozent des Vermögens eingezogen werden. Diesen Vorschlag machte Christine Lagarde bereits, als sie noch IWF-Chefin war. Es scheint aber so, dass die gesellschaftsfähigere Form einer schleichenden Enteignung über real negati- ve Zinsen weiter praktiziert werden wird. Und das über viele Jahre. bei Null sind. Dies führt allerdings zu Pro- blemen im Spar- und Vorsorgebereich (pri- vate Geldanlagen, Pensionskassen, etc.), die sich dadurch verschärfen, dass es auch zu ei- ner Verlängerung der Tilgungsdauer kommt (z.B. hundertjährige Staatsanleihe Österrei- chs, andere werden diesem Beispiel folgen), bis hin zu nicht rückzahlbaren „ewigen Anlei- hen“ – womit die Probleme auf die nächste Generation übertragen werden. Insolvenzwelle ante portas Die Verschuldung nimmt auch im kommer- ziellen Bereich stark zu. So können nicht nur Rückzahlungen von Firmenkrediten gestun- det und über staatliche Garantien abgesi- chert werden, auch beim Finanzamt und bei der Sozialversicherung werden Beitragszah- lungen ausgesetzt. In Deutschland wurde im März sogar das Insolvenzrecht geändert, in- dem die Antragspflicht für Insolvenzen bis September aufgehoben wurde. Alles in allem führt dies zu einer Zunahme der Ver- bindlichkeiten, die bei einem späteren Fäl- ligwerden zu einer Insolvenzwelle führen werden. Der Ökonom und Chef des Insti- tutes für Weltwirtschaft, Gabriel Felber- mayr, warnte bereits vor den Folgen: „Es gibt Zombie-Firmen, die in den vergangenen Wochen nur deshalb überleben konnten, weil sie durch staatliche Notkredite gestützt wurden. Das wird noch ein böses Erwachen geben.“ Bei der anzunehmenden Insolvenz- welle wird der Gipfel im kommenden Herbst erwartet – mit dem ebenso anzuneh- menden, unangenehmen Nebeneffekt um- fangreicher Mitarbeiterfreisetzungen. Gefahr der Inflation? Seit Jahren wird aufgrund der Geldmengen­ ausweitung ein Anstieg der Inflation erwar- tet. Am sehnlichsten von der EZB, deren Zielkorridor von „annähernd“ zwei Prozent trotz umfangreicher Interventionen nie er- reicht wurde. Auch jetzt kommt angesichts der massiven Ausweitung der Zentralbank- bilanzen dieses Thema wieder aufs Tapet. Zumal auch die Kreditnachfrage steigt und sich die Privatverschuldung in der Eurozone bis Ende Mai in Jahresfrist von knapp 11,3 auf 11,8 Billionen Euro ausweitete. Der an Es gibt Zombie- Firmen, die nur deshalb überleben, weil sie durch staat­ liche Notkredite ge­ stützt wurden. Das wird noch ein böses Erwachen geben. Gabriel Felbermayr, Ökonom und Chef des Institutes für Weltwirtschaft Fiskalische Stimuli Um die Coronakrise zu meistern, wurden weltweit Billionen Dollar bzw. Euro locker gemacht. Die Eurozone und die USA wenden dabei mit rund 12 Prozent des BIP annähernd gleich viel für die Rettung der Wirtschaft auf. Quelle: Haver Analytics, JPMorgan, Goldman Sachs, Schoellerbank China USA Eurozone Singapur 25% 20% 15% 10% 5% Russland 2,2% 8,9% 11,7% 12,4% 23,3% 0% in Prozent des BIP 2019 10 . GELD-Magazin – Juli/August 2020

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