GELD-Magazin, September 2019

fend von durchaus namhaften Politikern, etwa dem ehemaligen Bundestagspräsi- denten Wolfgang Thierse (SPD). Im deut- schen Parlament gab es bereits zwei An- träge auf Einführung des „Wahlrechts ab Geburt“, die aber abgelehnt wurden. Tat- sächlich gibt es erhebliche Kritikpunkte: So etwa, dass Kinder möglicherweise der politischen Einstellung ihrer Eltern dia­ metral widersprechen. Wo gibt es also die Garantie, dass Eltern im Sinne ihrer Sprösslinge abstimmen? MEHR ALS EINE STIMME Der interessanteste Vorschlag be- trifft das Stimmen-Splitting, ein Verfah- ren, das beispielsweise in Australien und manchen Kantonen der Schweiz bereits ausgeübt wird. Hierzu gibt es mehrere Varianten: Statt nur eine Stimme einer Partei zu geben, könnten alle Parteien nach dem Schulnotensystem beurteilt werden. Oder es wird dem Bürger ein Budget von 100 Punkten zur Verfügung gestellt. So könnten der bevorzugten Par- tei alle Punkte zugesprochen werden oder aber zu 50;50 auf zwei Parteien aufgeteilt werden etc. Den Vorteil erklärt Richard Sturn, Professor an der Karl-Franzens- Universität Graz und Wahlrechtsexperte: „Heute kann man bei Wahlen nur weni- ge Informationen ,hineinfüttern‘. Noten- system oder Punktebudget ermöglichen es weit besser, den Wählerwillen abzu- bilden, etwa mitzuteilen, welche Par- teien man gar nicht will.“ Ob eine solche Variante in Österreich jemals kommen wird, steht noch in den Sternen, eine Diskussion ist sie in Zeiten der Politik- verdrossenheit aber wert. SEPTEMBER 2019 – GELD-MAGAZIN | 17 Politikverdrossenheit | BRENNPUNKT VORSCHLÄGE FÜR EIN NEUES WAHLRECHT » » Bildungselite. Eine Forderung geht in die Richtung, Akademikern mehr als eine Stimme zur Verfügung zu stellen. Salopp formuliert: Den Intelligentesten soll mehr Einfluss gegeben werden. Kritik: Es ist nicht logisch argumentierbar, warum zum Beispiel ein Doktor der Chemie oder der Medizin ein besseres demokratisches Verständnis aufweisen sollte als etwa ein politisch interessierter Elektriker – oder auch Arbeitsloser ohne akademischen Titel.Außerdem würde ein Großteil der Bevölkerung diskriminiert, die Reform wäre verfassungswidrig. » » Family First. Eltern mit einem oder mehreren Kindern sollen mehrere Stimmen gegeben werden. Mit der Argumentation, dass diese weiter in die Zukunft blicken und mehr Verantwortung für kom- mende Generationen haben. Kritik: Inwiefern Menschen an einer besseren Zukunft für die Gesellschaft interessiert sind, hängt nicht von ihrem Kinderreichtum ab, sondern von ihrer persönlichen Einstellung. Auch dieser Vorschlag ist diskriminierend und verstößt gegen die Verfassung. » » Qualifikation. Nur derjenige darf wählen, der sein Verständnis für Politik und Demokratie in einem eigenen Test unter Beweis stellt. Außerdem werden Intelligenz- und psychologische Tests für poli- tische Spitzenkandidaten angedacht. Kritik: Dieser Vorschlag ist in Wirklichkeit höchst ge- fährlich, denn wer soll den „neutralen“ Test durchführen und die entsprechenden Kriterien dafür festlegen? Politische Steuerung droht – nicht verfassungskonform. » » Stimmen-Splitting. Bürger geben nicht nur eine Stimme ab, sondern benoten alle Parteien nach dem Schulno- ten- oder einem Punktesystem. Somit könnten die Präferenzen der Wähler besser widerge- geben werden. Angewandt wird diese Methodik bereits in Australien und einigen Kantonen der Schweiz. Kritik: Wählen wird komplizierter, was vielleicht einige Menschen leicht über- fordern könnte.Alles in allem sollte das einemmündigen Bürger aber zugetraut werden kön- nen. Der Vorschlag würde nicht gegen den Gleichheitsgrundsatz verstoßen und ist durchaus verfassungskonform. Am 29. September finden wieder Nationalratswahlen in Österreich statt. Wobei viele Menschen „sauer“ auf die heimische Politik sind. Zeit für ein neues Wahlrecht?

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