GELD-Magazin, September 2019

S tolze 94 Prozent betrug die Wahlbeteiligung in Österreich im Jahre 1945, ein Höchstwert, der zuletzt noch einmal 1956 erreicht wurde. Lange hielt sich die Beteiligung über 90 Prozent, bis es ab den 1990er Jahren langsam bergab ging und 2013 mit knapp 75 Prozent ein (vorläufiger?) Negativrekord aufgestellt wurde. Ein Zei- chen dafür, dass die Politikverdrossen- heit in der Alpenrepublik zunimmt. Ein Blick auf die Stammtische bestätigt diese Diagnose: „Die da oben richten sich es ja sowieso immer, eigentlich ist es ja egal, wen ich wähle“, solche und ähnliche Sprüche häufen sich nicht nur in soge- nannten „bildungsfernen“ Schichten. ALARMGLOCKEN SCHRILLEN Wobei anzunehmen ist, dass die Ibiza-Affäre das Vertrauen in die Politik nicht gerade gestärkt hat. Es besteht da- bei die Gefahr, dass das Fehlverhalten von einzelnen Personen auf das gesamte politische System abfärbt. Und letzt- lich die Demokratie selbst in Misskre- dit bringt. An dieser Stelle müssen also die Alarmglocken schrillen und die Frage beantwortet werden, wie das Vertrauen wiederhergestellt werden könnte? Eine Idee ist es, bei den Wahlen, dem Herz der Demokratie, selbst anzusetzen. WEISE AKADEMIKER? Bisher sind wir es gewohnt, dass je- der mündige Bürger eine Stimme verge- ben darf. Es gibt allerdings dazu unter- schiedliche Alternativmodelle, teils sind diese in der Praxis in anderen Ländern bereits erprobt, teils sind sie pure Theo­ rie. Und manche Vorschläge sind, das darf nicht verschwiegen werden, sogar gefährlich. So etwa das Gedankenspiel, Akademikern mehr als eine Stimme zur Verfügung zu stellen, denn die hochge- bildeten Bürger würden doch die politi- schen Zusammenhänge viel besser ver- stehen als die breite Masse der Bevölke- rung. In Wirklichkeit würde die Umset- zung aber ganz eindeutig gegen demo- kratische Grundrechte verstoßen und es erleichtern, dass eine relativ kleine Elite ihre Interessen gegen die breite Bevölke- rungsmehrheit durchsetzt. Man könnte also salopp urteilen: Eine Schnappsidee. KINDER AN DIE MACHT! Seriöser und gesellschaftlich in Österreich und vor allem Deutschland breiter diskutiert ist das Familienwahl- recht. Eltern sollen für ihre Kinder stim- men dürfen, bis diese das gesetzliche Wahlalter erreicht haben. Hintergrund: Prinzipiell soll die politische Partizipa­ tion der ganzen Familie und natürlich der Kinder gestärkt und auch im Sinne der Minderjährigen gewählt werden. Un- terstützt wird diese Idee vom Deutschen Familienverband und fraktionsübergrei- CREDIT: pixabay BRENNPUNKT | Politikverdrossenheit 16 | GELD-MAGAZIN – SEPTEMBER 2019 Politiker genießen nicht immer den besten Ruf: Korruptionsanfällig, machtgierig und hauptsächlich an Eigen- interessen orientiert, so lauten gängige Vorurteile. Das berühmt-berüchtigte Ibiza-Video hat das Image nicht gerade verbessert. Allerdings könnte ein alternatives Wahlrecht die Stimmen der Bürger stärken und dabei helfen, Vertrauen in die Demokratie zurückzugewinnen. Harald Kolerus Wozu wählen? WAHLBETEILIGUNG NATIONALRATSWAHLEN In Österreich hat die Wahlbeteiligung in den letzten Jahren fast kontinuier- lich abgenommen, ein klares Zeichen für Politikmüdigkeit. Quelle:Bundesministerium für InneresÖsterreich©Statista 1971 1975 1979 1983 1986 1990 1994 1995 1999 2002 2006 2008 2013 2017 100% 80% 60% 40% 20% 0% 80,0% 92,4% 92,9% 92,2% 92,6% 90,5% 86,1% 81,9% 86,0% 80,4% 84,3% 78,5% 78,8% 74,9% HABEN SIE IN DEN LETZTEN 5 JAHREN... Die meisten Bürger in Österreich beschränken ihre politischen Aktivitäten auf Stimmabgaben. Quelle:ÖsterreichischerDemokratieMonitor 85% 52% 37% 18% 18% 0 25 50 75 100 ...anWahlen teilgenommen ...in Schule/Arbeit/Nachbarschaft sich für einThema eingesetzt ...inVereinen/Bürgerinitiativen mitgemacht ...an Demonstrationen teilgenommen ...in einer Partei/Interessen- vertretung mitgearbeitet

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