GELD-Magazin, Juni 2022

58 . GELD-MAGAZIN – Juni 2022 Dezentralisiertes Internet men, die die Regeln ändern und die Art und Weise, wie Menschen interagieren, ein­ schränken können. Web3 versucht, diese Dis­ kriminierung im Internet zu überwinden und es für jeden mit einem Internetanschluss zu­ gänglich zu machen. Natürlich sind wir da­ von jedoch noch weit entfernt, und es gibt eine ganze Reihe von Problemen, die auf dem Weg dorthin gelöst werden müssen. Wie lange, glauben Sie, wird es noch dau- ern bis Web3 unser derzeitiges Web2 ab- gelöst haben wird? Ich würde sagen, dass wir uns heute in einer Situation vergleichbar mit den späten 1990er Jahren befinden – vor allem in Bezug auf die Nutzerakzeptanz. Heute haben wir etwa 200 Millionen User, die mit Krypto- Wallets interagieren, was fast fünf Prozent der momentanen Internetbevölkerung ent­ spricht. In den späten 1990er Jahren hatten ebenfalls nur knapp fünf Prozent der Weltbe­ völkerung Zugang zum Internet. Das Poten­ zial ist also nach wie vor enorm: eine „Billi­ onen-Dollar-Industrie“, wenn man sich nur ansieht, womit Bitcoin zu konkurrieren ver­ sucht, nämlich mit Gold, und womit Web3 zu konkurrieren versucht, nämlich mit all den zentralisierten Internetdiensten, die den großen Tech-Unternehmen gehören. Sehen Sie auch Hürden für den Übergang zu Web3? Ist es denn überhaupt möglich, ein vollständig dezentralisiertes Internet zu schaffen? Zur Zeit bereiten Netzwerk-Überlastungen, langsame Transaktionsgeschwindigkeiten und hohe Transaktionsgebühren noch Probleme für eine Nutzung durch die breite Bevölke­ rung. Auch beim Grad der Dezentralisierung unterschiedlicher Netzwerke gibt es definitiv N ach einem ereignisreichen Jahr 2021 legte die Krypto-Branche auch heuer wieder eine erste Jah­ reshälfte in ähnlichem Tempo hin. Zwar ent­ wickelten sich die Preise der meisten Krypto- Assets – dem allgemeinen Makroumfeld fol­ gend – recht düster, doch die Entwicklungen auf technologischer, regulatorischer und so­ zioökonomischer Ebene schreiteten im Hin­ tergrund voran. Für den Durchschnittsanle­ ger wird es dabei immer schwieriger, den Überblick zu behalten, welche Branchenseg­ mente wieder Potenzial bergen, sobald die Talsohle des Bärenmarktes überwunden ist. Deshalb luden wir Eliézer Ndinga, Director of Research bei 21Shares, dem führenden Krypto-Vermögensverwalter in der Schweiz, zum Gespräch, um seine Einschätzung zu aktuellen Trends und möglichen Risiken zu hören. Herr Ndinga, Web3 ist das Krypto-Buzz- word der Stunde. Wann hat dieser Schritt zur nächsten Evolutionsstufe des Inter- nets eigentlich begonnen? Web3 beschreibt im Wesentlichen verschie­ dene Bestrebungen zur Dezentralisierung von Internet-Diensten und Web-Infrastruk­ turen unter Wahrung der Privatsphäre. Mög­ lich gemacht wird dies durch kryptographi­ sche Verschlüsselung, eine Technologie, die bereits Mitte der 1970er Jahre nach der Wa­ tergate-Affäre in den USA ihren ersten öf­ fentlichen Durchbruch feierte. Durchgesetzt hat sich dabei die Public-Key-Verschlüsse­ lung, welche heute auch zur Absicherung unserer Internetverbindungen genutzt wird. Ein Blick auf die Geschichte zeigt, dass neue kryptographische Innovationen und Anwen­ dungen immer dann auf den Markt kamen, wenn das Misstrauen der Bevölkerung ge­ Marktmächte und ökonomisches Umfeld mögen den gesamten Kryptomarkt momentan in die Knie zwingen, doch an den fundamentalen Grundlagen der nächsten Generation des Internets wird eifrig weitergebaut. MORITZ SCHUH Credits: BIT Capital/Jonas Friedrrich; EZPS/stock.adobe.com INTERVIEW . Eliézer Ndinga, 21shares genüber etablierten Institutionen anwuchs. Genau das geschah auch 2008 mit Bitcoin als Folge der globalen Finanzkrise und etwas später im Jahr 2014, als der Cambridge Ana­ lytica-Skandal großes öffentliches Misstrau­ en gegenüber Internetgiganten, wie Face­ book etwa, weckte. Web3 und insbesondere Ethereum traten damals mit dem Ziel auf, ei­ nen dezentralen „Weltcomputer“ bereitzu­ stellen, auf den jede Person zugreifen kann, um mit Hilfe von Smart-Contracts (Compu­ terprotokolle, die selbst-exekutierende Ver­ träge abbilden), jede Art von Anwendung zu entwickeln und zu implementieren. Was kann man sich genau darunter vor- stellen? Was verspricht Web3 und wie un- terscheidet sich die Benutzerinteraktion von dem, was wir bisher kennen? Web1 bestand aus den allerersten Websites in den 1990er Jahren. Dann, Mitte der 2000er Jahre, erlebten wir den Aufstieg von mobilen Anwendungen, insbesondere der so­ zialen Netzwerke. Diese aktuelle Form des Internets besteht im Wesentlichen aus un­ seren Daten, die in Datenzentren gehostet werden, die von Großkonzernen wie Face­ book, Amazon, Google und Apple betrieben werden. Diese Daten gehören nicht den End­ nutzern; der Zustand des Internets liegt heu­ te in den Händen einiger weniger Unterneh­ Wir befinden uns heute in einer Situation vergleichbar mit den späten 1990er Jahren des Internets.

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