GELD-Magazin, Juli/August 2021

heizt. Das kann natürlich dazu führen, dass wir ganz andere Bewertungsniveaus bei Ak- tien bekommen, denn diese werden am Zins gemessen. So gesehen sind die Börsen sehr moderat bewertet. In den USA haben wir ein Forward-KGV von 21, was aber in Relation zu der Rendite für zehnjährige Staatspapiere nicht sehr hoch ist. Ein KGV von 21 bedeutet eine Nettorendite von rund fünf Prozent – gegen 1,5 Prozent bei den Staatsanleihen. Da ist die Aktienrendite zur Bondrendite mit 3,5 Prozentpunkten im Vorteil. Deswegen ist die Inflation, die demnächst kommt, von Bedeutung. Wenn sie höher steigt, dann könnten die Märke zu zweifeln beginnen. Schnelle Zinsanstiege am langen Ende könnten dann irritieren und zu Rück- schlägen am Aktienmarkt führen – eine Kor- rektur von vielleicht zehn Prozent, das wäre absolut nicht ungewöhnlich. Gilt dann nach wie vor die Strategie „Buy the Dip“? Eigentlich müsste man bei je­ der Korrektur Aktien kaufen? Wir sind derzeit in Aktien übergewichtet – und in Anleihen untergewichtet. Unsere Grundphilosophie inkludiert auch, zu schauen, mit welchem Zeithorizont die In- vestoren am Aktienmarkt veranlagt sind, kurzfristig oder längerfristig? Und die sind aktuell eindeutig längerfristig veranlagt. Und das spricht dafür, dass wenn es runter geht, zugekauft wird – ob das bei drei Pro- zent, bei fünf oder bei zehn Prozent passiert, das weiß natürlich niemand. Auf der ande- ren Seite spricht die bereits hohe Investiti- onsquote von Institutionellen wiederum da- gegen, dass der Markt in den nächsten Mo- naten – oder sagen wir im nächsten Quartal – durch die Decke geht. Es ist ja jetzt bereits eine langsame Aufwärtsbewegung: Die Dy- namik ist abgeflaut. Wir haben z.B. trotz steigenden Indizes bereits mehr fallende als steigende Aktien – damit ist die Marktbreite nicht mehr da. Das muss zwar jetzt nicht heißen, dass die Märkte fallen, aber es ist wenig wahrscheinlich, dass sie stark steigen. Zur politischen Situation: Die USA und China kämpfen beide um die Vorherr­ schaft, besonders im Technologiebereich. China hat auch Expansionsbestrebungen – Stichworte Seidenstraße, Hongkong, Taiwan und Chinesisches Meer. Wie brisant sehen Sie die Situation da? Das größte Risiko für die Märkte ist eine mi- litärische Eskalation um Taiwan, nachdem Hongkong ja praktisch von China annek- tiert worden ist. Es gab zwar dazu ein paar internationale Protestnoten, aber die Ab- hängigkeit von China ist zu stark, um grö- ßere Auseinandersetzungen zu riskieren. China war vor 200 Jahren die führende Na- tion auf der Welt, dann wurde sie von den Europäern lange Zeit unterjocht. Und das hat China nicht vergessen. Jetzt will China wieder den ursprünglichen Zustand herstel- len – nur mit anderen Mitteln. Unsere Sorge dabei ist die Besonderheit von Taiwan mit Taiwan Semiconductors als weltweit füh- renden Chiphersteller. Wenn China hier zu- greift, werden die Lieferketten stark beein- flusst, und zum Zweiten wäre das für China ein Technologieschub. Das ist das größte singuläre Risiko, das es für die Aktienmär- kte derzeit gibt. ZUR PERSON Dr. Ulrich Kaffarnik war nach seinem Stu- dium bei verschiedenen Banken tätig. 1991 wechselte er in die Investmentfonds- branche. Nach zwei Jahren bei Schröder, Münchmeyer, Hengst & Co in Frankfurt übernahm er die Leitung des Fondsma- nagements der Franken-Invest Kapitalan- lagegesellschaft in Nürnberg, wo er 1996 in die Geschäftsführung berufen wurde. Vor seinem Eintritt bei der DJE Kapital AG als Vorstand war er im Jahr 2006 Ge- schäftsführer bei BHW Invest. Er verant- wortet den Bereich Fondsmanagement & -handel. Außerdem ist er Geschäftsfüh- rer der Luxemburger Kapitalanlagegesell- schaft DJE Investment S.A. Dr. Ulrich Kaffarnik: „Wir leben an den Finanzmärkten in einer grotesken neuen Normalität.“ Juli/August 2021 – GELD-MAGAZIN . 9

RkJQdWJsaXNoZXIy MzgxOTU=