GELD-Magazin, April 2021

ZUR PERSON Anton Pelinka wurde 1941 in Wien geboren. Seine akademische Lauf- bahn umfas s t das Studium der Rechtswissenschaften und der Poli- tikwissenschaft, 1972 Habilitation für Politikwissenschaft. 1975 bis 2006 o.Univ.Prof. für Politikwissenschaft an der Universität Innsbruck, 2006 bis 2018 Professor of Nationalism Studies and Political Science, Central Europe- an University, Budapest. durchaus provokanten Titel „Die Sozial- demokratie. Ab ins Museum?“. Sind SPÖ & Co. wirklich museumsreif? Prinzipiell gehören alle Parteien „ins Muse- um“, die die Illusion erwecken, geschlos- sene Ideologien zu vertreten. Entscheidend ist Öffnung. Die Sozialdemokratie hat ihr deklariertes Ziel der internationalen Solida- rität nicht erreicht. Zum Beispiel haben sozi- aldemokratisch regierte Staaten im Norden der Europäischen Union dem ebenfalls sozi- aldemokratisch regierten Spanien 2020 bei der Frage eines europäischen wirtschaftli- chen Ausgleichs zunächst nicht geholfen. Parteien wie die SPÖ müssten danach trach- ten, Internationalität und eine weitere Öff- nung gegenüber Europa in den Vordergrund zu stellen. Aber könnte nicht gerade das SPÖ-Wäh- ler verstoßen, die vielleicht gerne den Slogan „Austria first“ hören würden? Das Liebäugeln mit Nationalismus macht mich tatsächlich skeptisch, ob sozialdemo- kratische Parteien den Anspruch der Inter- nationalität erfüllen können. Sie sollten aber nicht kurzfristig taktieren, sondern langfristig strategisch denken: Die Zahl der klassischen Industriearbeiter geht seit Jahr- zehnten zurück, die Zahl der Wählerinnen und Wähler mit höherem Bildungshinter- grund steigt hingegen ständig. Auf diese Wählerschaft müsste die SPÖ setzen, so wie das bereits Neos und Grüne tun. Wie sieht es mit der ÖVP aus? Heute sind die Türkisen die größte Partei des Landes und stellen den Kanzler ... Die ÖVP ist von den Bünden und den Lan- desorganisationen gelähmt gewesen. Seba- stian Kurz hat diese Verhältnisse zerschla- gen. Er bewirkte eine strukturelle, aber kei- ne inhaltliche Erneuerung. Kurz selbst ver- tritt keinen spezifischen Inhalt. Er ist ein Verkäufer beliebiger Inhalte. Wie begründen Sie diese harten Worte? Um Missverständnisse zu vermeiden: Kurz „ideologielos“ zu nennen, das ist kein mora- lischer oder ethischer Vorwurf. Kurz ent- spricht idealtypisch dem demokratischen Politiker, wie ihn Anthony Downs in „An Econonomic Theory of Democracy“ be- schreibt: Er will nicht Wahlen gewinnen, um seine Inhalte durchzusetzen. Er formu- liert Inhalte, um damit Wahlen zu gewin- nen. In diesem Sinn ist Kurz ein postmoder- ner Demokrat. Die Grünen rangieren laut Umfragen der- zeit nur bei rund zehn Prozent. Warum? Die Grünen bezahlen den Preis für den Regie- rungseintritt – dafür, 2019 ihre sehr gute Ver- handlungsposition nicht ausreichend genützt zu haben. Sie hätten mehr Mitspracherechte bei Kernthemen wie Asyl, Migration und Menschenrechte einfordern müssen. Die Neos scheinen derzeit recht gut abzu- schneiden ... Die Neos sind die europäischste Partei im Na- tionalrat. Das ist ein Alleinstellungsmerkmal, und es ist der Partei zu raten, dieses auch bei- zubehalten. Welche Strategie fährt die FPÖ ? Öffentlich wird fast nur mehr Herbert Kickl wahrgenommen, der einen Fundamental- Oppositionskurs fährt und Corona-Skeptiker anspricht. Aber wen will die FPÖ mobilisie- ren, wenn die Pandemie überwunden ist? www.uibk.ac.at „Der souveräne Staat ist durch die Globalisierung zur Illusion geworden“, so Anton Pelinka. April 2021 – GELD-MAGAZIN . 13

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