GELD-Magazin, April 2021

„Enger zusammenrücken“ D ie Corona-Krise stellt nicht nur Ge- sundheitswesen und Wirtschaft auf die Probe, auch das politische System wird einem Stresstest unterworfen. Politologen sind deshalb in diesen Tagen be- sonders gefragt, Anton Pelinka zählt zu den renommiertesten Vertretern dieses Fachs. Im Interview stellt der Experte eine verhal- ten positive Einschätzung der zukünftigen Entwicklung Europas in den Raum. Die EU sollte sich nach Überwindung der Covid-Kri- se strukturell weiter vertiefen, wobei Pelin- ka hier auch erhebliche Unsicherheitsfak- toren nicht verschweigt. Mit Blick auf die heimische Innenpolitik findet er wiederum harte Worte, die aufhorchen lassen. So be- zeichnet er Kanzler Kurz als „Verkäufer be- liebiger Inhalte“. Die SPÖ sei, wenn dem- nächst keine Strategieanpassung erfolgt, reif fürs Museum ... Mit Impffortschritten könnte die Corona- Krise hoffentlich bald eingedämmt wer- den. Welche politischen Spuren wird die Pandemie in Europa hinterlassen? Lassen Sie mich dazu etwas weiter ausho- len: Grundsätzlich gehe ich von einer ratio- nalen Vorgehensweise politischer Akteure aus. Diese Rationalität ist aber nicht garan- tiert, und das stellt einen gewissen Unsi- cherheitsfaktor dar. Wenn sich die Politik tatsächlich vernünftig verhält, dann sollten wir innerhalb Europas mehr Gemeinsamkeit sehen. Die EU wird näher zusammenrücken, das heißt, sie wird sich verdichten. Im Fall der Pandemie bedeutet das z.B. eine Verbes- serung der Möglichkeit, gemeinsam effek- tiver Impfstoffe beschaffen zu können, bis zu einem gewissen Ausgleich gegenüber wirtschaftlich schwächeren Staaten inner- halb der Union. Es gibt aber eben auch die Möglichkeit irrationalen Verhaltens ... Das ist leider nicht auszuschließen. Ein sol- ches Agieren ist die Folge der Orientierung an kurzfristigem innenpolitischem Kalkül. Es wird nach Sündenböcken gesucht. So wird gerne die EU selbst als Feindbild aufge- baut, wobei es sich hier noch um die „harm- losere“ Variante handelt, weil mit vernünf- tigen Argumenten dagegengehalten werden kann. Schwieriger wird es bei Verschwö- rungstheorien. Zum Beispiel, dass China das Virus bewusst in die Welt gesetzt habe, dass George Soros schuld an allem sei, etc. In sol- chen Fällen wird die Grundlage jedes seri- ösen Diskurses zerstört. Aber ich halte die Debatte um die EU grundsätzlich für ratio- nal und bin deshalb vorsichtig optimistisch was deren Zukunft betrifft. Sie meinen auch, dass der souveräne Nationalstaat ein Auslaufmodell sei. Worauf basiert diese Einschätzung? Das Konzept voller staatlicher Souveränität ist mit der zunehmenden Globalisierung zur Illusion geworden. Wie soll die Wirtschaft einzelner Staaten etwa ohne die Textil­ industrie Asiens oder die Hi-Tech-Branche der USA agieren können? Ich glaube des- halb, dass eine stärkere Integration der EU langfristig wahrscheinlich ist. Und das kann durchaus als Vorbild dienen. Ich denke hier vor allem an Afrika, wo es zwar eine Afrika- nische Union gibt, die aber wenig Gewicht auf die Waage bringt. Weiters wäre es wün- schenswert, wenn internationalen Organisa- tionen wie der UNO mehr Kompetenzen zugesprochen würden. Wenn wir schon von Auslaufmodellen sprechen: Ihr neuestes Buch trägt den Der europäische Gedanke könnte durch die Pandemie gestärkt werden, hofft der prominente Politologe Anton Pelinka. Außerdem erörtert er die mögliche „Museumsreife“ der Sozialdemokratie. HARALD KOLERUS Kurz will nicht Wahlen gewinnen, um seine Inhalte durchzusetzen. Er formuliert Inhalte, um damit Wahlen zu gewinnen. Credit: Jeff Mangione / KURIER / picturedesk.com 12 . GELD-MAGAZIN – April 2021 INTERVIEW . Anton Pelinka, Universität Innsbruck

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