GELD-Magazin, Dezember 2020 / Jänner 2021

Wie beurteilen Sie die gewaltige Sektorrotation seit Mitte November? Die Veränderungen, die in diesen Tagen stattgefun- den haben – Growth raus, Value rein – sind mit Blick auf die Risikomodelle im Grunde eigentlich nicht möglich. Insofern war es schon historisch, was da passiert ist. Wie kam es dazu? Die Bewegung kann nur durch institutionelle Anleger ausgelöst worden sein. Wir haben es hier vor allem mit „Short Cove- ring“ zu tun. Die Anleger hatten Short-Positionen aufgebaut bei diversen Titeln, z.B. aus der Reise- branche. Mit der Nachricht, dass ein Impfstoff bald verfügbar sei, kam dann ein rascher Umschwung, verbunden mit der Erwartung einer nun doch relativ schnellen Stabilisierung der Konjunkturerwar- tungen. Sofern sich über diesen „Impfungseffekt“ die Konjunktur stabilisieren sollte, ist davon auszu- gehen, dass es eine Phase der Outperformance von Value im Vergleich zu Growth geben kann. Was spricht für einen breit angelegten Um- schwung? Insbesondere bessere Konjunkturerwartungen. Frag- lich ist dabei aber, ob Value in der ganzen Breite out- performen wird. Dazu zählen ja ganz unterschied- liche Sektoren, wie Öl, Banken, Versicherungen oder Versorger. Es ist wahrscheinlich, dass nicht alle Va- lue-Sektoren eine gute Wertentwicklung erzielen werden. Vorsichtig sollte man beim Bankensektor sein, denn die Zinsen werden kaum stark steigen, so- lange Zentralbanken gegensteuern. Ein konjunktur- bedingt durchaus plausibler Anstieg der Kapital- marktzinsen dürfte nicht so groß ausfallen, dass die Diskontierungsmodelle die Bewertungen aller Growth-Aktien unattraktiv werden lassen. Wahr- scheinlicher ist eine Entwicklung, bei der einzelne Growth-Werte unter Druck kommen und einzelne Value-Sektoren gut performen werden. Ist Value ohne Growth zu Recht tief bewertet? Längerfristig gesehen ist diese Aussage richtig, auf kurze Sicht gesehen nicht unbedingt. Es können die Bewertungsunterschiede so eklatant groß sein, dass Phasen möglich sind, die realökonomisch für Value- Unternehmen nicht positiv sind (z.B. was die Gewinnentwicklung anbelangt) – aber trotzdem ein Kursanstieg stattfindet. Einfach weil der Preis für die Firmen als zu niedrig erkannt wird. Ulrich Kaffarnik, Investmentstratege bei DJE Kapital . INTERVIEW „Längerfristig ist ein Bewertungsabschlag für Unternehmen mit geringem oder gar keinem Wachstum im Vergleich zum Gesamtmarkt rational .“ Jänner 2021 – GELD-MAGAZIN . 39 chancen aufweisen, werden zu den Gewin- nern zählen. So bleibt Stefan Riße, Kapital- marktstratege bei Acatis, für qualitativ hochwertige Technologietitel positiv ge- stimmt. „Wer glaubt, dass der Bewertungs- abschlag klassischer Value-Aktien wie vor 20 Jahren komplett aufgeholt wird, der irrt. Damals basierten die Bewertungen der Tech-Aktien fast ausschließlich auf Zu- kunftsphantasien. Diesmal stehen Milliar- dengewinne dahinter, hohe Wachstumsra- ten und starke Gewinnmargen“, meint Riße. „Als Value-Investoren haben wir auch in Technologietitel wie Microsoft, Alphabet oder Nvidia investiert und konnten uns so der Value-Schwäche entziehen. Wir nennen das Buffett 2.0. Bereits 1992 schrieb US-Su- perinvestor Warren Buffett im Geschäftsbe- richt seiner Investmentholding Berkshire Hathaway: Auch eine Aktie mit einem ho- hen KGV, einem hohen KBV und einer nied- rigen Dividendenrendite kann ein Value In- vestment sein.“ Marcus Poppe agiert daher als Fondsmanager beim DWS Global Value pragmatisch. Er hält klassische Value-Titel, deren Gewinne bei einer wirtschaftlichen Erholung wieder stark zulegen können. Zu- gleich setzt er auf höher bewertete Firmen, deren Gewinne stabiler wachsen. Pragmatischer Ansatz „Wichtig ist, dass ein Unternehmen auf mitt- lere Sicht wieder ein solides Gewinnwachs- tum erzielen kann und eine starke Markt- stellung hat“, erklärt Poppe. Aus seiner Sicht ist der Bewertungsabschlag vieler Value-Ak- tien im Vergleich zu Wachstumstiteln ge- rechtfertigt. Denn bei den Value-Aktien seien die Gewinne einfach nicht stark genug gestiegen. Das würde sich erst ändern, wenn die Wirtschaft wieder dynamisch wachse und auch die Zinsen zulegen, so Poppe. Dann könnten Aktien aus zyklischen Value- Branchen wie Finanzen, Industrie und Roh- stoffe wieder besser laufen. Dass dies ein re- alistisches Szenario ist, denkt Manfred Schlumberger, Investmentstratege bei BB StarCapital. „Gelingt es im ersten Halbjahr 2021 einen erheblichen Teil der Weltbevöl- kerung zu impfen, stehen wir ab Mitte 2021 vor einem gewaltigen Wirtschaftsboom. In den USA verdoppelten sich die privaten Er- sparnisse um 3.500 Milliarden Dollar. Das entspricht 15 Prozent des Bruttoinlandspro- dukts. Dieses Geld fließt zurück in die Real- wirtschaft, sobald die Pandemie beherrsch- bar erscheint. Dazu kommen Konjunkturpa- kete. Auch die niedrigen Rohstoff-/Ölpreise geben der wirtschaftlichen Erholung Rü- ckenwind. In erster Linie werden zyklische Unternehmen aus dem Industrie- und Che- miesektor davon profitieren, dazu die Ener- giewerte.“ Allerdings: „Wenn aus den Be- wertungen der Technologietitel etwas Luft entweicht, könnten sie wieder zu attraktiven Investments werden.“

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