GELD-Magazin, September 2019

WIRTSCHAFT RUNTER, BONDS RAUF! In den letzten Wochen kursieren bei- nahe apokalyptisch anmutende Theo- rien: etwa die „Ice-Age-Theorie“ Albert Edwards (Marktstratege bei Societe Ge- nerale), die von einer Japanifizierung westlicher Ökonomien ausgeht, oder jene von PIMCO-Wirtschaftsberater Joachim Fels, der einen Saving-Glut (Ersparnis- Schwemme) als unvermeidbares Pro- dukt unserer steigenden Lebenserwar- tung und des kapitalsparenden techno- logischen Fortschritts sieht. Aber ob nun Regimeänderung oder nicht, was sich als Tatsache nicht von der Hand weisen lässt ist, dass sich die globale Wirtschaft deutlich am abkühlt! Wie aktuelle Zahlen zeigen, verlangsamte sich das Wachstum der Eurozone im zwei- ten Quartal auf eine jährliche Rate von 1,1 Prozent, in Deutsch- land schrumpfte die Wirtschaft gar um 0,1 Prozent und tau- melt damit am Rande einer Rezession, Chi- BRENNPUNKT | Geldpolitik in der Krise 8 | GELD-MAGAZIN – SEPTEMBER 2019 W elch seltsame Blüten die gegenwärtige Niedrigzins- politik treibt, zeigt sich ge- rade an einem heimischen Beispiel: Die 2017 emittierte – und damals als Methu- salemanleihe belächelte – hundertjährige österreichische Staatsanleihe legte seit Jahresbeginn eine Performance von 70 Prozent aufs Parkett – und wurde zuletzt im Juni sogar noch einmal um knapp 1,2 Milliarden Euro aufgestockt. Die jeder ökonomischen Logik widersprechende Entwicklung wirft die berechtigte Frage auf, wieso um alles in der Welt jemand einem Staat, der noch keine 75 Jahre be- steht, Geld für die nächsten hundert Jahre überlässt und sich dafür mit weni- ger als einem Prozent Zinsen (Ende Au- gust: 0,71 Prozent) zufrieden gibt? Was auf den ersten Blick völlig absurd er- scheint, ergibt bei näherer Betrachtung des politischen, ökonomischen und sozialen Umfelds aber durchaus Sinn. na verzeichnet das schwächste Wachs- tum seit 27 Jahren und auch in den wirt- schaftlich noch starken USA stehen mit der ersten Abnahme im produzierenden Sektor seit zehn Jahren alle Zeichen auf „Slow-down“. Gepaart mit einer Vielzahl weiterer Katalysatoren, von der Eska- lation des amerikanisch-chinesischen Handelskrieges, über einen bevorstehen- den ungeregelten Brexit, bis zur schwe- lenden militärischen Intervention Chinas in Hongkong, rücken die vermeintlich si- cheren Häfen auf den Bondmärkten in ein noch attraktiveres Licht. Und dann wären da ja noch die Zentralbanken. UNABHÄNGIGKEIT IN GEFAHR Die derzeitige Verwunderung über die auf den Kopf gestellten Marktzustän- de bekommt angesichts der nach der Kri- se weltweit eingeräumten Allmachtstel- lung der Zentralbanken einen fast schon naiven Beigeschmack. Die wichtige und notwendige Rolle der Notenbanken als Krisenfeuerwehr am Höhepunkt der Weltwirtschafts- und Eurokrise entwi- ckelte sich in den letzten Jahren schlei- chend zum politisch vereinnahmten Nar- rativ einer alles steuernden Supermacht. Ob in Europa, den USA oder sonst wo auf der Welt: Geldpolitische Eingriffe wer- den als einfache Lösung und willkom- mene Ursache ökonomischer Missstände instrumentalisiert. Die Politisierung der Zentralbanken geht mittlerweile so weit, dass Präsident Donald Trump fast keine Woche mehr vergehen lässt, ohne die un- abhängige Entscheidungsmacht der Fed und ihres Präsidenten Jay Powell in Fra- ge zu stellen: „Die einzige Frage ist, wer CREDIT: FrankWagner/stock.adobe.com Verrückte Anleihe- und Kreditmärkte, Verluste bei Sparguthaben und Politisierung der Geldpolitik – die Zentralbanken weltweit befinden sich in einem Regimewechsel, in dem die Grenzen zwischen Fiskal- und Geldpolitik verschwimmen. Welche unkonventionellen Mittel der Währungshüter kommen im Umfeld von Handelskrieg, Brexit und Eurokrise noch auf uns zu? Moritz Schuh Negative Zinsen! ÖSTERREICHISCHE STAATSANLEIHE BOOMT Durch die extrem lange Laufzeit von 100 Jahren reagierte der Kurs der österreichischen Staatsanleihe besonders stark auf den Rückgang des Marktzinses: seit Jahresbeginn ein Kursplus von 70 Prozent! „ Die Zentralbanken sind keine Schurken, sondern Opfer struktureller Ände- rungen. “ Joachim Fels, PIMCO 2018 2019 100% 120% 140% 160% 180% 200%

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