GELD-Magazin, Juli/August 2019

Steht die nachhaltige Geldanlage vor dem Durchbruch in den Massenmarkt? D erzeit sieht es fast so aus, als wäre die gesamte Fondsindustrie auf dem Weg in Richtung nach- haltiger Anlageprodukte. Fast wöchent- lich kommen neue Investmentfonds mit einem nachhaltigen Anlageansatz oder -thema auf den Markt. Zusätzlich verkünden immer mehr Anbieter von Investmentfonds, dass sie es ihren Ana- lysten und Portfoliomanagern jetzt ermögli- chen, Nachhaltigkeitskriterien bei der Titel- auswahl und der Portfoliokonstruktion zu be- rücksichtigen. Positiv betrachtet könnte man sagen, dass die Berücksichtigung nachhal- tiger Kriterien bei der Kapitalanlage endlich den Weg aus der Nische in den Massenmarkt gefunden hat. Aber hält diese Aussage auch einer kritischen Betrachtung stand? EU-AKTIONSPLAN ALS TREIBER Meiner Ansicht nach ist der Boom bei den nachhaltigen Anlageprodukten ganz klar von dem EU-Aktionsplan zur Finanzierung nach- haltigen Wachstums ausgelöst worden. Denn die Ankündigung des Aktionsplans ist auf ein großes Medienecho und großes öffentliches Interesse gestoßen. Somit ist es nicht ver- wunderlich, dass dieAnbieter von Investment- fonds von diesemTrend profitieren wollen und ihre Produktpalette um entsprechende Fonds erweitern. Etwas anders stellt sich die Situa- tion bei den Fondsanbietern dar, die es ihren Analysten und Fondsmanagern ermöglichen, mit Hilfe von neu entwickelten Analysesyste- men nachhaltige Kriterien bei derTitelauswahl und der Portfoliokonstruktion zu berücksichti- gen. Auch wenn dieser Schritt grundsätzlich positiv zu beurteilen ist, kann man hier auch von „Green Washing“ sprechen, denn in den meisten Fällen sind die Analysten und Fonds- manager nicht dazu verpflichtet, diese Daten zu nutzen, sondern können diese auf freiwilli- ger Basis in ihren Investmentprozess integrie- ren. Meiner Ansicht nach ist es aber derzeit nicht angebracht, den Fondsanbietern „Green Washing“ zu unterstellen. Denn schließlich ist es nur richtig, wenn die Anbieter ihren Analys- ten und Portfoliomanagern eine Übergangs- frist geben. BERECHTIGTE GEGENSTIMMEN? Irritierend finde ich allerdings, dass einige Fondsanbieter sich öffentlich darüber be- schweren, dass der Aktionsplan in die Gestal- tungsfreiheit der Produktanbieter eingreift. Auch wenn ich dem Argument, dass man es dem Markt überlassen sollte, ob nachhaltige Anlageprodukte gewünscht sind oder nicht, grundsätzlich nachvollziehen kann, denke ich, dass der Aktionsplan wichtig und richtig ist, denn mit der Umsetzung wird zum ersten Mal eine einheitliche Taxonomie geschaffen, die es den Anlegern ermöglicht, einzelne Pro- dukte auf Basis standardisierter Begrifflich- keiten miteinander zu vergleichen. Ebenso ist es vorgesehen, dass das Thema Nachhaltig- keit in jedes Beratungsgespräch eingebun- den werden muss, sodass die Anleger zukünf- tig informierte Entscheidungen bei der Geld- anlage treffen können. Diese Punkte zeigen, dass es anscheinend nötig war, dass die EU regulierend in den Markt eingreift, da es die Anbieter von nachhaltigen Investmentfonds in den letzten Jahren nicht geschafft haben, sich auf eine einheitlich Taxonomie zu eini- gen. Auch die Berater standen dem Thema nachhaltige Geldanlage bisher eher zurück- haltend oder negativ gegenüber, da sie die einzelnen Ansätze für zu komplex hielten be- ziehungsweise sich aufgrund der fehlenden Taxonomie nicht sicher waren, ob und wenn ja, welcher Fonds am besten für einen be- stimmten Kunden geeignet ist. Deshalb gibt es erhöhten Schulungsbedarf für Anlagebera- ter, denen aber auch – analog zu den Ana- lysten und Fondsmanagern – eine Eingewöh- nungsphase gegönnt werden sollte. POSITIVES FAZIT Die derzeitigen Entwicklungen in der euro- päischen Fondsindustrie mit Hinblick auf das Thema nachhaltige Geldanlage sind meiner Ansicht nach sehr positiv zu beurteilen. Zum einen trägt der Trend zur Auflage nachhaltiger Anlageprodukte dazu bei, dass alle Arten von Anlegern dadurch eine größere Auswahl ha- ben. Mit der einheitlichen Taxonomie und der daraus resultierenden Vergleichbarkeit der Produkte sollte sich durch die höhere Anzahl der Produkte die Komplexität des Marktes aus Anlegersicht nicht erhöhen. Ebenso ist zu ver- muten, dass der höhere Wettbewerb, in Kom- bination mit der angesprochenen Vergleich- barkeit, insgesamt zu niedrigeren Kosten für die Anleger führen wird. Das wirklich Bahn- brechende an den derzeitigen Trends im euro- päischen Fondsmarkt ist jedoch, dass immer mehr „konventionelle“ Fondsanbieter begin- nen, nicht finanzielle Daten und damit nach- haltige Kriterien in ihre Investmentprozesse zu integrieren. Durch diesen Schritt kommt die nachhaltige Geldanlage im Massenmarkt an, ohne dass sich der Kunde explizit für die Nut- zung dieser Kriterien entscheiden muss. www.lipperleaders.com Fürden InhaltderKolumne istalleinderVerfasserverantwortlich.Beidem Inhalt handeltessichnichtumeineAnlageempfehlung.Anlegersollten inBezugaufAnla- geentscheidungen für ihrPortfolio immermiteinemAnlageberatersprechen.Der InhaltgibtausschließlichdieMeinungdesAutorswieder,nichtdievonRefinitiv. | LIPPER RESEARCH | JULI/AUGUST 2019 – GELD-MAGAZIN | 51 KOLUMNE Detlef Glow, Head of Lipper Research EMEA

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