GELD-Magazin, November 2022

Investieren Sie anti-zyklisch! Wo sehen Sie die größten Risiken für die Finanzmärkte? Eindeutig bei der Inflation und den Notenbanken, die diese bekämpfen. Denn eine restriktive Zinspolitik ist der größte natürliche Feind der Aktienmärkte, weil Zinspapiere die klassische Alternativanlage sind. Die anstehende Rezession in Europa ist zwar auch ein Belastungsfaktor – doch hat sie auch den Effekt, den Inflationsdruck zu bremsen. Europa wird 2023 in die Rezession gehen. In den USA sollte die Kontraktion der Konjunktur eher milde ausfallen. Wie geht es in den USA weiter? Ich glaube, eine strikte Inflationsbekämpfungspolitik wie in den 80er-Jahren wird es heute nicht mehr geben. Einerseits wird man den Preisdruck bremsen, da ansonsten dem Konsum als wichtigste Konjunkturstütze zu viel Kaufkraft geraubt wird. Andererseits sind negative Realzinsen erwünscht, weil sie Verschuldung künstlich reduzieren. Wir dürfen nicht vergessen, dass Amerika dramatisch hoch verschuldet ist. Bei etwa 4,5 Prozent FED-Funds-Rate ist also Schluss. Damit ist Anfang 2023 zu rechnen. Die US-Renditestruktur am Anleihemarkt ist invers geworden: ein untrügliches Anzeichen für eine Rezession … Ja, dieser Indikator ist recht zuverlässig. Die Rendite der zehnjährigen US-Treasuries liegt bei rund vier Prozent, bei den fünfjährigen Zinstiteln gar bei 4,2 Prozent. Investoren befürchten, dass die FED übers Zins-Ziel hinausschießen könnte. Ist der Gipfelpunkt der Inflation in den USA bereits erreicht? Wir befinden uns schon recht nahe beim Top. Die Lieferketten sind wieder fester und die Frachtraten geben nach. In den USA sind zudem die Lager gut gefüllt, was in einzelnen Segmenten sogar zu Preisnachlässen führen könnte. Auch sind die Preiserhöhungsabsichten kleinerer und mittlerer Betriebe weit weniger stark ausgeprägt als noch vor einiger Zeit. Dies ist ein zuverlässiger Indikator für eine fallende Kerninflationsrate auf Sicht der kommenden Monate. Wie ist die Stimmung an den Weltbörsen? Ich denke, wir sind in einer Bodenbildung. Das, was uns wirtschaftlich erwartet, ist ja an den Börsen bekannt, z.B., dass die Unternehmensgewinne bis ins erste Quartal 2023 enttäuschen könnten. Im Übrigen ist die Nacht kurz vor der Morgendämmerung am Die Anlegerstimmung liegt am Boden – dennoch halten sich dieWeltbörsen gut.Wie es an den Finanzmärkten weitergeht und welche Strategie die Investoren verfolgen sollten, erläutert Marktstratege Robert Halver. WOLFGANG REGNER dunkelsten. Schlechte Stimmungsindikatoren sind ein Kontraindikator, denn wer verkaufen wollte, hat dies schon getan. Deshalb sehe ich die berechtigte Hoffnung, dass wir das Schlimmste bald überstanden haben. Daneben sind die Cash-Quoten der Fondsmanager so hoch wie seit 2001 nicht mehr. Man kann das Geld ja zwischenzeitlich in Zinspapieren parken. Aber bei Anleihen sind die Anleger trotz der Renditesteigerungen alles andere als euphorisch gestimmt, denn die Realzinsen gemessen an den aktuellen Inflationsraten sind immer noch deutlich negativ. Aktien gewinnen wieder an Stärke. Wie schätzen Sie die Lage in China ein? Früher war Xi Jinping noch ein Freund des unternehmerischen Freigeistes. Heute reicht Robert Halver: „Eine strikte Inflationsbekämpfung wie in den 1980er-Jahren wird es nicht mehr geben.“ 28 . GELD-MAGAZIN – November 2022 INTERVIEW . Robert Halver, Baader Bank

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