GELD-Magazin, Juli/August 2022

ZUR PERSON Olga Pindyuk ist Ökonomin am Wiener Institut für Internationale Wirtschaftsvergleiche (wiiw). 1973 als unabhängige Forschungseinrichtung gegründet, liegen die Schwerpunkte des wiiw vor allem auf Analysen und Prognosen der Wirtschaftsentwicklung in den Ländern Mittel-, Ost- und Südosteuropas (inkl. der Türkei) sowie in China. Pindyuks spezielle For- schungsgebiete sind der Außenhandel und Finanzmärkte. Sie ist außerdem Länder-Expertin für die Ukraine und die GUS. Sie forscht zur Modellierung von Kosten im Dienstleistungshan- del und zu Verbindungen zwischen diesem und der Fertigung. Zuvor arbeitete sie als Berate- rin bei der Weltbank (Büro in der Ukraine) und dem DFID Ukraine Trade Policy Project. Business Association unter Vertretern von KMU in der Ukraine durchgeführt wurde: 42 Prozent der Unternehmer haben im März nicht gearbeitet, 26 Prozent im April, jetzt sind nur noch 17 Prozent arbeitslos. Gleichzeitig stellen KMU fest, dass sich ihre finanzielle Widerstandsfähigkeit ver- schlechtert. Aktuell geben 34 Prozent an, dass ihre finanziellen Reserven für mehrere Monate reichen werden, zuvor 40 Prozent. Weitere zwölf Prozent haben Reserven für einen Monat und die anderen zwölf Pro- zent für sechs Monate. Nur fünf Prozent verfügen über ausreichende finanzielle Re- serven für ein Jahr oder länger. Dement- sprechend sind die Möglichkeiten der Mit- telständler, ihre Mitarbeiter zu unterstüt- zen, reduziert – die Situation bei der Zah- lung von Gehältern an Mitarbeiter hat sich im letzten Monat leicht verschlechtert. Man kann sagen, dass jetzt rund die Hälfte der ukrainischen Wirtschaft nicht funktioniert. Wenn der Krieg einmal beendet ist: Was wird der Wiederaufbau der Ukraine ko- sten, und wer soll das bewerkstelligen? Sehr, sehr viel Geld wird nötig sein, es könnte sich um mehrere hundert Milliar- den Euro handeln. Ich meine, dazu sollte eine Initiative ähnlich dem Marshallplan nach dem Zweiten Weltkrieg initiiert wer- den. Die dafür notwendigen Institutionen müssten erst geschaffen werden. Dabei handelt es sich allerdings um keine Ein- bahnstraße, gerade der Marshallplan hat gezeigt, dass unterstützende Länder und Unternehmen vom Wiederaufbau der Wirt- schaft profitieren. Die Ukraine hat den EU-Beitrittsstatus erlangt, wie geht es hier weiter? Wir wissen, dass die Entscheidungspro- zesse in der EU oft sehr lange dauern, eine Mitgliedschaft der Ukraine steht nicht be- vor. Ich sehe aber bereits den Kandidaten- Status als externen Anker und Ansporn für die Ukraine. Etwa im Kampf gegen Korrup- tion und Oligarchentum. Stellen Sie sich hingegen vor, die Ukraine wäre kein Bei- trittskandidat oder würde nicht Mitglied: Das würde weitere Unsicherheit und Insta- bilität für die Region bedeuten. Stichwort EU: Falls man sich zu einem kompletten Öl- und Gasembargo durch- ringen sollte, könnte das tatsächlich den Krieg stoppen? Das würde mit Sicherheit nicht von heute auf morgen funktionieren, längerfristig sehe ich diese Möglichkeit allerdings schon. Aus der Überlegung heraus, dass ein Em- bargo die russische Wirtschaft so sehr schwächen könnte, dass schlichtweg die fi- nanziellen Ressourcen für die Kriegsfüh- rung ausgehen. Aber würde Öl und Gas dann nicht ein- fach zum Beispiel nach China oder In- dien verkauft werden? Öl lässt sich vergleichsweise einfacher transportieren, bei Gas ist das allerdings komplizierter. Es müsste neue Infrastruktur, Pipelines etc., errichtet werden, was ko- stenintensiv ist und Jahre dauern kann. Ein Gas-Embargo wäre ein Schock für die rus- sische Wirtschaft. www.wiiw.ac.at Juli/August 2022 – GELD-MAGAZIN . 13

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