GELD-Magazin, April 2022

V or dem Inflationsschub im Jahr 2021 stand einer starken Verteue- rung der Wohnimmobilienpreise eine relativ niedrige Verbraucherpreisinfla- tion gegenüber. Das bisherige Messverfah- ren für die Inflationsrate sorgte für Aufre- gung in der Gesellschaft. Isabel Schnabel, Direktorin der Europäischen Zentralbank, ist der Ansicht, dass die EZB bei der Inflati- onserhebung auch den Anstieg der Immobi- lienpreise berücksichtigen muss – so die ak- tuelle Berichterstattung. Berücksichtigt man die Preise für selbstgenutztes Wohneigen- tum, hätte – je nach Studie – die Inflations- rate seit 2010 teils 0,2 bis 0,5 Prozent- punkte über der amtlichen Inflationsrate gelegen. Vor allem jüngste pandemiebe- dingte Preisanstiege würden die EZB zu- sätzlich unter Zugzwang setzen, so schnell wie möglich die Leitzinsen anzuheben. Steigendes Risiko einer Preisblase Klare Fakten lieferte die Deutsche Bundes- bank im Monatsbericht Februar 2022: „Ge- mäß aktuellen Schätzergebnissen lagen die Immobilienpreise in den Städten im Jahr 2021 zwischen 15 und 40 Prozent über dem Preis, der durch sozio-demografische und wirtschaftliche Fundamentalfaktoren ange- zeigt ist.“ Das Kaufpreis-Jahresmiete-Ver- hältnis bei Wohnungen in Städten lag im Berichtsjahr gut 30 Prozent und in den sie- ben Großstädten rund 40 Prozent über sei- nem längerfristigen Mittelwert: Ähnliches gilt auch für Österreich. Dazu Karin Wag- ner, Immo-Expertin der OeNB: „Der OeNB- Fundamentalpreisindikator für Wohnimmo- bilien in Österreich verzeichnete den stärk- sten Anstieg seit Beginn der Zeitreihe im Jahr 1989 und erreichte im vierten Quartal 2021 einen Stand von 29,8 Prozent − 7,6 Prozentpunkte über dem Wert des Vorquar- tals. Die vom Indikator angezeigte Abwei- chung von den Fundamentalfaktoren kam in Wien sogar auf 35,6 Prozent.“ Entschei- dend ist, inwieweit Preisanstiege durch Fun- damentalfaktoren, wie demographische Trends, allgemeiner Wohlstand, institutionelle Fak- toren, die Verfügbarkeit von Grund und Bo- den, erwartete Erträge oder Zinsen, ge- rechtfertigt sind. „Erst wenn die Preise über längere Zeit er- heblich von den fundamental gerechtfertig- ten Preisen abweichen, kann von einer Überhitzung oder Blase gesprochen wer- den“, erklärt Wagner. Im vierten Quartal 2021 stiegen bundesweit die Wohnimmobi- lienpreise im Jahrsvergleich um 12,6 Pro- zent (Gesamtjahr: 11,8 Prozent), außerhalb Wiens sogar um 13,9 Prozent. „Die Entwick- lungen auf dem Wohnimmobilienmarkt in Österreich sind im europäischen Vergleich auffällig, die Preisdynamik ist in Österreich deutlich stärker als im Euroraum. Die Preise haben sich in Österreich seit 2010 verdop- pelt, die Überbewertung der heimischen Wohnimmobilien ist höher als im Euro- raum. Daraus ergeben sich Hinweise auf eine zunehmende Überhitzung des Woh- nimmobilienmarktes“, so Wagner. Am 11. Februar 2022 hat der Europäische Rat für Systemrisiken (ESRB) Österreich empfohlen, kreditnehmerbezogene Maß- nahmen zu ergreifen, um den Aufbau der systemischen Risiken aus den Wohnimmo- bilienfinanzierungen hintanzuhalten. In Deutschland empfahl der ESRB, in der Im- mobilienfinanzierung eine Obergrenze für das Verhältnis von Kredithöhe zu Immobili- enwert einzuführen. IMMOBILIEN . Spätphase eines Booms Wohnungsmarkt am Zenit? OeNB Fundamentalpreis- indikator für Wohnimmobilien Teilindikatoren: Reale Immobilienpreise Leistbarkeit Immobilienpreise zu Mieten Immobilienpreise zu Baukosten Kredittragfähigkeit Wohnbauinvestitionen zu BIP Zinsrisiko Die Abweichung der Wohnimmobilienpreise von historischen Fundamentalwerten nimmt in Deutschland und Österreich zu. Bezüglich Platzen von Blasen oder weiterer Preisanstiege scheiden sich die Geister. MICHAEL KORDOVSKY Credits: beigestellt/Archiv; OeNB; fotomek/stock.adobe.com „Erst wenn die Preise über längere Zeit erheblich von den fundamental gerechtfertigten Preisen abweichen, kann von einer Überhitzung oder Blase gesprochen werden.“ Karin Wagner, Immo-Expertin der OeNB 60 . GELD-MAGAZIN – April 2022

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