GELD-Magazin, April 2021

Auch die Europäische Zentralbank will auf keinen Fall zulassen, dass die Zinssätze zu früh steigen, solange die ohnehin notlei- dende europäische Wirtschaft noch mit der Pandemie zu kämpfen hat. In einem State- ment wurde bekanntgegeben, dass man das Pandemie-Anleihekaufprogramm im zwei- ten Quartal noch beschleunigen wird, um zu verhindern, dass höhere Renditen die Erho- lung weiter untergraben. „Unser Ziel ist es im Wesentlichen, sicherzustellen, dass die Renditekurven, die eine wichtige Rolle bei der Bestimmung der Gesamtfinanzierungs- bedingungen spielen, der Wirtschaft nicht voraus sind“, erklärte Philip Lane, Cheföko- nom der EZB in einem Interview mit der Financial Times. „Wir befinden uns in einer Verschiebung der Geldpolitik weg von der Konzentration auf den kurzfristigen Zinssatz hin zur Berücksichtigung aller Finanzie- rungsbedingungen.“ Zentralbanken unter Druck Da sich die Inflationsraten in den USA und Europa seit der Finanzkrise meist unter den Notenbankzielen bewegten, ist auch ersicht- lich, warum derzeit so zurückhaltend kom- muniziert wird. Liegt die tatsächliche Infla- tion nämlich konstant unter dem Ziel, wird eine für die Zukunft angestrebte Inflations- rate irgendwann kein ernstzunehmender Faktor bei Gehaltsverhandlungen und Kre- ditentscheidungen mehr sein. Ein gesundes Inflationsniveau könnte damit die Rückkehr zu einem stabileren Investitionsumfeld ein- leiten. Denn die niedrigen Zinsen haben die Anleger in zunehmend spekulative Assets getrieben. Sollte die Wirtschaft überhitzen, läuft man Gefahr, dass ungezügelte Inflation auftritt. Nur extreme Zinserhöhungen, die die Arbeitslosigkeit anheizen und die Nach- frage dämpfen, könnten das dann stoppen. Auch wenn ein Navigieren der Zinsen im ge- genwärtigen Umfeld schwer ist, wäre es fahrlässig, die Aufwärtsrisiken für Inflation zu ignorieren. Die Zentralbanken stehen vor einer schwie- rigen Herausforderung: Straffen sie die Geld- politik zu schnell, laufen sie Gefahr die Wirt- schaft abzuwürgen. Lassen sie die Zügel zu locker, könnte die Inflation außer Kontrolle geraten. Einziger Ausweg aus den Schulden Bereit zu sein, dieWirtschaft heiß laufen zu lassen Die Auswirkungen der Ausweitung der Zentralbankbilanzen – sprich Erhöhung der Geldmengen – werden offensicht- lich. Bekanntermaßen besteht lang- fristig ein enger Zusammenhang zwi- schen dem Wachstum der erweiterten Geldmenge und der Inflation. Die Rhe- torik der Zentralbanken verstärkt dies zusätzlich. Ein Anstieg der Inflationsra- ten kann sich so dauerhaft etablieren. Das ist auch die einzig sinnvolle Opti- on für Staaten, die enormen aufgenom- menen Schulden haushal tspol i t isch bewältigen zu können: die Deflationie- rung des realen Wertes der Schulden durch schleichende Inf lation. Was die Größenordnung der Auswirkungen auf den Staatshaushalt betrifft, so hat die pandemie- b e d i n g t e A r- beitslosigkeit die privaten US- Haushal te 330 Mil liarden Dol- lar an entgange- nen Löhnen und Gehäl ter n ge- kostet . Diesel - ben Haushal te erhielten jedoch – noch ohne das neue Biden-Hilfspaket – eine Billion Dollar an Gesamttransfers aus der Staatskas- se. Zusätzlich verfügen sie derzeit über Ersparnisse in Höhe von 1,4 Billionen Dollar. Dies stellt eine enorme aufge- staute Nachfrage dar, die mit der Wie- derbelebung der Wirtschaft auf ein be- grenztes Angebot treffen dürfte. Adrian Owens, Investment Director, GAM Investments April 2021 – GELD-MAGAZIN . 9

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