GELD-Magazin, Dezember 2020 / Jänner 2021

Credit: stock.adobe.com/motortion ter Minute doch noch eine Vereinbarung ge- troffen, die die Blockade des historischen Pakets beendete. In einer Pause des EU-Gip- fels Anfang Dezember wurden nach Bemü- hungen der deutschen Bundeskanzlerin An- gela Merkel die letzten Einzelheiten zwi- schen Polen, Ungarn, dem EU-Rat und wei- teren Mitgliedsländern geklärt. Im Rahmen des Deals bleibt der Text des Rechtsstaatsmechanismus zwar unverän- dert, doch die EU-Kommission darf die neu- en Maßnahmen bis nach einem Spruch des EuGH nicht umsetzen. Des Weiteren muss die Kommission genaue Anwendungsrichtli- nien verfassen. All dies wird die praktische Anwendung der Verordnung um bis zu zwei Jahre, also praktischerweise bis nach den Wahlen in Ungarn im Jahr 2022, verzögern. Zusätzlich sieht das neue Abkommen vor, dass der Mechanismus nur für den EU-Haus- halt und den Wiederherstellungsfonds gilt, wodurch künftige Zahlungen für Projekte – vorzugsweise von Regierungs-Günstlingen – ausgenommen bleiben. Notwendiges Übel Doch was hätte es andererseits bedeutet, wenn man sich nicht dem Willen Ungarns und Polens gebeugt und der Recovery Fund im Jänner nicht das Licht der Welt erblickt hätte? Obwohl die Mittel nicht vor Sommer 2021 ausgezahlt werden, hätte eine längere Verzögerung beträchtliche Auswirkungen auf die hochverschuldeten Länder wie Ita- lien oder Spanien gehabt (auch Polen und Ungarn selbst erwarten in den kommenden zwei Jahren beträchtliche Zuschüsse von 3,5 bzw. 3,0 Prozent des BIP). Für ein Land wie Spanien hätte das Fehlen dieser Gelder laut ING Research für die kommenden zwei Jah- re einen Rückgang der derzeitigen Wachs­ tumsprognosen um mehr als die Hälfte be- deutet. Auch hätten zahlreiche EU-Finanzie- rungsinstrumente, also einzelne Fonds und Förderprogramme, wie z.B. der Struktur- fonds, ohne eine Vereinbarung über den neuen EU-Mehrjahreshaushalt nicht auto- matisch weitergeführt werden können, wo- durch zusätzlich viele Regionen erheblich betroffen gewesen wären – vor allem in mit- tel- und osteuropäische Mitgliedstaaten, aber auch Griechenland und Portugal. Zu- dem hätte die Gefahr bestanden, dass eine fehlende Einigung die Finanzmärkte wieder in Aufruhr versetzt hätte. Veto mit Folgen Oberflächlich betrachtet sind die Zuge- ständnisse vorerst ein Gewinn für Ungarn und Polen. Sie verkaufen sie ihrer Bevölke- rung als „Sieg gegen die EU“. In der Praxis bedeutet der Kompromiss, dass die Auswir- kungen des neuen Mechanismus erst nach Monaten oder sogar Jahren für sie spürbar sein werden. Tatsächlich jedoch haben Bu- dapest und Warschau einige ihrer Kernziele nicht erreicht. Der Mechanismus selbst wur- de nicht umgeschrieben und knüpft die Ver- gabe von EU-Geldern weiterhin an die Ein- haltung rechtsstaatlicher Grundwerte. Am Ende könnten Budapest und Warschau also doch die vollen Auswirkungen des Mecha- nismus zu spüren bekommen. EU-Kommissi- ons-Präsidentin Ursula von der Leyen bestä- tigte, dass Sanktionen erst eingeleitet wer- den, wenn ein entsprechendes Urteil des EuGH gefällt wurde. Sollte aber vorher ein relevanter Bruch des Abkommens vorliegen, dann würde dies bereits vermerkt: „Vom 1. Januar 2021 an geht kein einziger Fall verlo- ren.“ Dies bedeutet, dass der Rechtsstaats- mechanismus nach endgültiger Prüfung durch den EuGH auch rückwirkend ange- wandt werden kann. BRENNPUNKT . EU-Wiederaufbaufonds Ausgehöhlte Rechtsstaatlichkeit Seit langem kritisiert die EU-Kommis- sion den Abbau wichtiger rechtsstaatli- cher Institutionen in Ungarn und Polen. In mehreren Fällen, die sich hauptsäch­ lich auf Justizreformen beziehen, wur- den bereits Klagen eingereicht. Der Pro- zess ist jedoch mühsam und langwierig. Beide Staats- und Regierungschefs argumentieren immer wieder, dass institutionelle Veränderungen nationales Recht wären und werfen der Kommis- sion Willkür und Doppelmoral vor. Die Realität sieht jedoch anders aus! Die Regierung Orbans erodiert methodisch die Rechtsstaatlichkeit. Es wurde eine neue Verfassung verabschiedet und die Wahlgesetze geändert, um sich selbst zu begünstigen. Das Verfassungsgericht wurde mit loyalen Günstlingen besetzt, ebenso wie hochrangige Stellen in beinahe allen Medien, der General- staatsanwaltschaft und der ungarischen Nationalbank. Diese Machtkonsolidie- rung hat eine Kontrolle der Regierung drastisch eingeschränkt. Wahlen sind zwar frei, aber nicht fair, die Opposition im Parlament praktisch machtlos. Auch die polnische Justizreform, die unter dem Deckmantel der Überholung des Systems der kommunistischen Ära erfolgt, wird von der EU-Kommission als Beeinträchtigung der Unabhängigkeit der Justiz gesehen. Seit ihrer Macht- übernahme hat die nationalistisch- konservative Regierung Polens die Kontrolle über das Verfassungsgericht übernommen, die Staatsanwaltschaft unter die Autorität des Justizministeri- ums gestellt und ein neues Disziplinar- regime für Richter eingerichtet. 12 . GELD-MAGAZIN – Jänner 2021

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