GELD-Magazin, Juni 2020

Paradiesisch? Das vorliegende Werk wur- de im Rahmen einer umfangreichen China- Story im GELD-Magazin bereits kurz ange- rissen, das Buch verdient aber nochmals eine eingehendere Betrachtung. Denn der zeitgenössische chinesische Philosoph Tin- gyang Zhao stellt hier nichts weniger vor, als das Konzept einer besseren Weltord- nung. Er beruft sich dabei auf das uralte Tianxia, was übersetzt soviel wie „alles un- ter dem Himmel“ bedeutet. Einfach gesagt, besteht die Erwartung darin, dass die Welt auf dem Prinzip der Koexistenz beruhen könnte. Und nicht auf beinharter Konkur- renz und Antagonismus. Zhao schreibt: „Die internationale Politik ist nicht nur un- fähig, internationale Konflikte zu lösen, sie ist im Gegenteil unaufhörlich damit be- schäftigt, nach Strategien zu suchen, die dem Gegner Niederlagen zuführen.“ Das heute vorherrschende Konzept der Natio- nalstaatlichkeit würde keine soliden Re- zepte der Konfliktlösung kennen, „außer dem Kampf bis zum bitteren Ende“. Der Philosoph spricht sich stattdessen für ein Konzept der „Globalpolitik“ aus, in dem alle Teilnehmer profitieren und sich natio- nale Grenzen und eigenstaatliche Interes- sen auflösen. Klingt utopisch, gab es aber bereits einmal – eben in Form des Tianxia im antiken China. Allerdings umspannte dieses System damals nur rund die halbe Fläche der heutigen Volksrepublik. Wie das Konzept global umgesetzt werden soll, bleibt leider unklar. Ansonsten wird ein umfassender Überblick zur politischen Frühgeschichte Chinas geboten. Die Rolle Europas. Wie das links vorge- stellte Buch beschäftigt sich auch Autor Gernot Erler mit den Möglichkeiten einer neuen Weltordnung. Er ist studierter Histo- riker und war Koordinator der deutschen Bundesregierung für die zwischengesell- schaftliche Zusammenarbeit mit Russland und Zentralasien. Seine Zugehensweise an das Thema ist also aus der Praxis gespeist, wobei er die bange Frage behandelt, ob „der Westen“ (gemeint ist hiermit vor allem Europa) nicht zunehmend von der globalen Bühne verschwindet und in rela- tiver Bedeutungslosigkeit zu versinken droht. Seine Antwort lautet: „Eine Welt- ordnung ohne eine europäische Rolle wird es nicht geben. Aber auch keine, die alleine von Europa geprägt wird.“ Vielmehr be- stimmt Multipolarität das Bild, neue große Player sind aufgetreten, allen voran China. In dieser neuen Weltordnung dürfe natür- lich nicht das „Dschungelgesetz“ gelten, mit der alleinigen Überlebenschance des Stärkeren im Kampf um knappe Ressour- cen. Zum Beispiel: Wasser, Nahrungsmittel und Energiequellen. Der Autor fordert da- her ein Minimum an „Global Governance“ inklusive gültiger Verhaltensregeln. „Der Respekt für das Wirken von starken Weltor- ganisationen würde wachsen“, meint Erler. In diesem Zusammenhang kritisiert er etwa, dass bei der Nato mehr Sand ins Ge- triebe zu geraten droht und spricht sich für eine ständige Dialogbereitschaft aus. Nur so können internationale Konflikte gelöst werden, wobei als konkretes Beispiel der Ukraine-Konflikt genannt wird. Luftige Höhen. Wolkenkratzer entstanden zunächst vor allem in New York und Chica- go, später in Ostasien und teilweise in Eur- opa. In Deutschland genossen Hochhäuser bis vor kurzem eher ein stiefmütterliches Dasein, aber auch bei unseren Nachbarn ist der Trend zum Vertikalen Wohnen ausge- brochen. Thomas Zabel hat sich diesem Phänomen angenommen und führt die Le- ser in luftige Höhen. Dabei wirft er auch ei- nen Blick auf die Kulturgeschichte der Wohnhochhäuser und stellt prinzipielle Vor- sowie Nachteile dieser Bauform dar. Speziell auf Deutschland gemünzt schreibt er: „Die ersten Wohntürme moderner Prä- gung haben es geschafft, die technischen und städtebaulichen Herausforderungen zu meistern – und am Markt erfolgreich zu sein.“ Wichtig ist für den Autor, dass die Politik nicht ausgerechnet jetzt auf die Bremse tritt: „Regulierungen und Gesetze sind alle Akteure gewohnt. (...) Fatal wäre es jedoch, wenn die pauschalen Vorschrif- ten überhandnehmen und Investoren und Architekten zu stark eingeschränkt wür- den. Denn dann finden sich keine Käufer für die Millioneninvestitionen – und Bau- herren fangen mit ihren Vorhaben gar nicht erst an.“ Zabel meint, dass Wohnen „über den Wolken“ erst am Anfang steht und das Potenzial hat, noch viel populärer zu werden. Das gilt für Investoren, aber na- türlich auch für Mieter bzw. Wohnungs- käufer. In diesem Zusammenhang wäre es für die Rahmenbedingungen wünschens- wert, dass viel mehr Wolkenkratzer über 150 Metern entstehen. Weltordnung ohne den Westen? Gernot Erler. Verlag: Herder. 207 Seiten. ISBN: 978-3-451-38075-4 Alles unter dem Himmel Zhao Tingyang. Verlag: Suhrkamp. 266 Seiten. ISBN: 978-3-518-29882-4 Towers of Germany Thomas Zabel. Verlag: FBV. 219 Seiten. ISBN: 978-3-95972-207-0 BUCHTIPPS . Neuerscheinungen & Pflichtlektüre Credits: beigestellt 82 . GELD-MAGAZIN – Juni 2020

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