GELD-Magazin, Juni 2020

S eit März waren gut 26 Schwellenlän- der in irgendeiner Form vom Lock Down der Wirtschaft betroffen. In den 75 folgenden Tagen nach dem „Corona- Ausbruch“ (am 21. Jänner) waren an den Kapitalmärkten der Emerging Markets die Kapitalabflüsse sogar wesentlich stärker als kurz nach der Lehman-Pleite im September 2008. Von Jahresbeginn bis 8. April 2020 flossen aus Emerging Markets (EM)-Aktien 72 Milliarden und aus EM-Anleihen 25 Milli- arden Dollar ab. Die Folge waren steigende Anleihenrenditen, sinkende Aktienkurse und teils auch weitere Währungsabwertun­ gen. Betrachtet man die Entwicklung an den Aktienmärkten, so hat es im laufenden Jahr Brasilien und Kolumbien auf Eurobasis mit jeweils -42,2 bzw. -46 Prozent besonders hart getroffen. Auch Mexiko zählt zu den überdurchschnittlichen Verlierern. Hinge- gen liegt China nur noch minimal im Minus. Der EM-Anleihenmarkt war vor allem im er- sten Quartal von Turbulenzen geprägt. Mehr als 16 Länder verzeichneten Spreads von über 1000 Basispunkten. Allerdings rechnen Experten ab der zweiten Jahreshälfte wieder mit einer Beruhigung – doch generell haben Emerging Markets viel von ihrem einstigen Glanz verloren: Argentinien fiel wieder in altbekannte Krisenmuster zurück, in Vene- zuela herrscht Hyperinflation, die Golf- staaten, Mexiko und Russland leiden unter niedrigen Ölpreisen, während zwischen Chi- na und den USA der Handelskonflikt immer wieder neu ins Spiel kommt. SelektivesVorgehen erforderlich Claus Born, Portfoliomanager des Franklin Templeton Emerging Markets Equity Fund, blickt trotzdem vorsichtig optimistisch in die Zukunft: „Die inländische Erholung in Nord­ asien sowie die niedrigeren Ölpreise unter- stützen eine Reihe von Schwellenländer, aber es bleibt abzuwarten, inwieweit Kon- junkturmaßnahmen die Nachfragevernich- tung ausgleichen können.“ Aktuelle Chan- cen sieht Born in einer schnelleren Erholung chinesischer Gesellschaften, die primär von der Binnennachfrage abhängen, und ausge- hend von den niedrigen Energiepreisen, die generell gut für Asien sind, insbesondere für Indien, China, Indonesien und die Philippi- nen. Rebecca McVittie, Investmentdirector Emerging Markets Equities bei Fidelity Inter- national, sieht kurzfristig die meisten Schwellenländer in einem komplexen Zu- sammenhang zwischen der Virus-Ausbrei- tung, der Effektivität der Eindämmung, der Wirtschaftshilfepolitik und dem Verhalten des Privatsektors. China zeigt einen „First- in-First-out“-Effekt und fährt die Wirtschaft wieder hoch. Dort ergeben sich laut McVit- tie in den Bereichen Internet und Verbrau- chermarkt Chancen für Stockpicker. „In be- grenztem Ausmaß finden wir Chancen in Brasilien. Hier bleibt aber das Makro-Um- feld herausfordernd.“ Asien imVorteil Kritisch ist auch der Ausblick des Analysten Gerhard Massenbauer: „Alle Länder der Erde sind durch die globale Rezession herausgefordert. Länder wie Nigeria und Mexiko, deren Staatsbudgets stark vom Öl- preis abhängen, tun sich schwer in Konkur- renz zu den USA und der EU Geldgeber zu finden. Staaten wie Südafrika und Brasilien, die wirtschaftlich einige Bedeutung erlangt hatten, werden diese wieder verlieren. Gera- de diese beiden Staaten hatten schon in den letzten Jahren mit Rezession oder unge- wöhnlich schwachem Wachstum zu kämp- MÄRKTE & FONDS . Schwellenländer Selektive Chancen Corona führte in vielen Schwellenländern zu Kapitalabflüssen, Währungs­ abwertungen und Abverkäufen an den Aktien- und Anleihenmärkten. Experten meinen zum Ausblick und zu den Investmentchancen: Genaue Selektion ist Trumpf. MICHAEL KORDOVSKY Credit: beigestellt 48 . GELD-MAGAZIN – Juni 2020 Fakten zu EM-Aktien: Von den Top-100-Unternehmen an den Börsen Taiwan, China/ Hong Kong und Korea weisen je- weils nur 43, 52 bzw. 62 Prozent eine Nettoverschuldung auf, verg- lichen mit 82 Prozent in den USA. Bezogen auf das Kurs/Buchwert- Verhältnis weist per 30. April der MSCI Emerging Markets Index zum MSCI World einen Abschlag von 34 Prozent auf und im Ver- gleich zum Durchschnitt der letz- ten 25 Jahre sind es 15 Prozent. Per 30. April stand ein KGV von 13,3 in den Schwellenländern eines von 17,5 in den entwickelten Volkswirtschaften gegenüber. Betrachtet man die Forward- KGVs so liegen sie in den Län- dern Russland und Türkei unter 8 und in Korea und Argentinien zwischen 11 und 12 (per 21.5.).

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