GELD-Magazin, Februar 2020

Weltwirtschaft trotzt Gegenwind ZUR PERSON Der britische Ökonom John Greenwood ist Chefvolkswirt der US-Fondsgesellschaft In- vesco in London. Greenwood begann seine Karriere 1970 bei der Bank of Japan und war anschließend zwei Jahrzehnte lang in der frü- heren britischen Kronkolonie Hongkong tätig, unter anderem als Direktor der Hong Kong Futures Exchange Clearing Corporation, als Ratsmitglied der Börse Hongkong und als Wirtschaftsberater der Regierung von Hong- kong. Seit 1998 ist Greenwood bei Invesco, ge- hört daneben jedoch auch dem Schattenkabi- nett der Bank of England an. Seit mehr als zehn Jahren wächst die US-Wirtschaft ohne Pause. Kündigt sich nun ein Ende des Booms an? JOHN GREENWOOD: Nein. In den USA er- leben wir zwar den längsten Aufschwung seit Beginn der Aufzeichnungen, doch sehe ich keinen Grund, warum es nicht so wei- tergehen könnte. Ich teile auch nicht die Ansicht, dass wir uns in einem sehr reifen Konjunkturzyklus befinden. Meiner Ansicht nach sind wir noch immer in der Mitte des Zyklus, und die Expansion kann noch lange Zeit andauern. Dass geopolitische und an- dere Störfaktoren eine Rezession herbeifüh- ren, kommt vor, allerdings nur selten. So- lange das monetäre Umfeld nicht über län- gere Zeit sehr restriktiv ist oder es zu einer extremen Überschuldung im privaten Sek- tor kommt – wie es 2008 in den USA der Fall war –, können die von derartigen Stör- faktoren ausgelösten Wellen den Gezeiten des Konjunkturzyklus kaum etwas anhaben. Was macht Sie so optimistisch? Der private Sektor ist in guter Verfassung und wir haben bei weitem keine so hohe Verschuldung privater Konsumenten wie 2007 und 2008. Der US-Dienstleistungssek- tor entwickelt sich weiterhin sehr dyna- misch. Da er in den USA rund 80 bis 85 Pro- zent ausmacht, kann sich auch die Wirt- schaft entwickeln. Die fundamentalen Trei- ber der Konjunktur sind also intakt, ich sehe daher keinen Grund, warum die positive Entwicklung nicht anhalten sollte. Die hohe Verschuldung der US-Unterneh- men beunruhigt Sie also nicht? Seit der Finanzkrise haben der US-Finanz- sektor und die privaten Haushalte massiv Schulden abgebaut. Bei den Unternehmen hat der Leverage (Verschuldungsgrad) zwar etwas zugenommen, die Erhöhung ihrer Schulden fällt aber angesichts des starken Schuldenabbaus in den anderen Sektoren nicht ins Gewicht. Insgesamt ist die Ver- schuldung des privaten Sektors in den USA von 296 Prozent des BIP auf 226 Prozent zurückgegangen. So betrachtet sind die USA heute weniger anfällig für eine Schul- denkrise als 2007. Europa steht diesbezüg- lich keineswegs besser da. Wirkt sich der Handelskonflikt negativ auf das Wachstum aus? Der Konjunkturzyklus, Auf- oder Abschwung, wird von der Geldpolitik, dem Geldmengen- wachstum sowie der Verfassung von Unter- nehmen, privaten Haushalten und des Fi- nanzsektors bestimmt. Die Fed (US-Noten- bank) hat mit ihrer monetären Politik sta- biles Wachstum bei niedriger Inflation er- möglicht. Da sich keine Wende in der Geld- politik andeutet, kann die Wirtschaft weiter- hin wachsen. Seit dem Zweiten Weltkrieg gab es keine Zeit, in der wir in den USA eine so lange Periode mit einem niedrigen und re- lativ gleichmäßigen Geldmengenwachstum hatten wie heute. Seit 2009 ist die Geldmen- ge M2 (Zentralbankgeld und Sichteinlagen bei den Banken) in den USA um 4,5 bis fünf Prozent gewachsen. Das ist ein ideales Um- feld für ein stetiges Wirtschaftswachstum. War es richtig, dass die Fed die Zinsen gesenkt hat, obwohl die US-Wirtschaft weiterhin wächst? Jeder spricht nur über den Leitzins, aber bei der Geldpolitik geht es nicht nur um Zins- sätze. Entscheidend ist die Wachstumsrate von Geldmenge und Krediten. Und diese ex- pandiert nachwievor solide. IndenUSAwird das hohe Haushaltsdefizit de facto von den Geschäftsbanken finanziert. Dadurch ist das breite Geldmengenwachstum von einer Jah- resrate von unter drei Prozent am Jahresan- fang bis Oktober 2019 auf 9,3 Prozent hoch- geschnellt – die bislang höchste Rate im ak- tuellenAufschwung. Es befindet sichalsoviel Geld im System. Und das ist der Grund, wa- rum wir an der Wall Street neue Höchststän- de sehen. Anleger sollten auf das Geldmen- genwachstum achten. Und wie schätzen Sie in diesem Zusammenhang Europa ein? Der Chefvolkswirt von Invesco ist zuversichtlich, dass in den USA der Aufschwung noch anhalten könne. In Europa dagegen mache die verkehrte Zinspolitik alle Hoffnungen auf mehrWachstum zunichte. WOLFGANG REGNER Credit: beigestellt 8 . GELD-MAGAZIN – Februar 2020 INTERVIEW . John Greenwood, Invesco

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