GELD-Magazin, November 2019

schlichtweg dem Willen, einer der üb- rigen Tätigkeiten nachzugehen, dann ste- hen wir vor einem Heer an Menschen, die keiner geregelten Lohnarbeit mehr nach- gehen. Dieser historisch einmalige Man- gel an flächendeckenden Umschulungs- möglichkeiten bedeutet für Precht, dass wir uns langsam von einer Lohnarbeits- gesellschaft, als Folge der ersten Indus- triellen Revolution, in eine Tätigkeitsge- sellschaft, in Folge der zweiten, verwan- deln. Ein Strukturwandel, der mit erheb- lichen sozialen und ökonomischen Span- nungen einhergehen wird, wenn nicht rechtzeitig entsprechende politische Ge- genmaßnahmen getroffen werden. Precht plädiert daher zum einen auf der individellen Seite für eine Reform des November 2019 – GELD-MAGAZIN | 13 Bedingungsloses Grundeinkommen | BRENNPUNKT WIRD DIGITALISIERUNG ZUR MASSENARBEITSLOSIGKEIT FÜHREN? Bildungssystems hin zur Förderung von Eigeninitiative und intrinsischer Neugier, um unsere Kinder auf die aufkommende Tätigkeitsgesellschaft vorzubereiten, zum anderen auf der gesellschaftlichen und ökonomischen Seite für einen Umbau unseres Sozialsystems hin zu einem be- dingungslosen Grundeinkommen. ERSTE PILOTPROJEKTE Nur ein bedingungsloses Grundein- kommen kann nämlich die soziale Ver- sorgung und die für die Wirtschaft not- wendige Kaufkraft sichern, wenn eine durch Alterung und den beschriebenen Strukturwandel abnehmende Zahl an Lohnarbeitern das derzeitige System nicht mehr finanzieren kann. Diese Idee teilt Precht nicht mehr nur mit Silicon Valley-Größen, sondern auch mit einer wachsenden Zahl an Politikern weltweit. Der demokratische Präsidentschaftskan- didat Andrew Yang etwa setzt in seinem Wahlkampf gerade auf die Einführung einer sogenannten „Freedom Dividend“ für jeden Amerikaner. Die Idee kommt gut an, doch die tat- sächlichen Auswirkungen für ein sol- ches Experiment wurden bisher kaum erforscht. In zahlreichen Ländern rund um den Globus laufen daher Pilotpro- jekte, um die Effekte in der Praxis zu un- tersuchen. Wie sich das Verhalten der Menschen ändert, was die ökonomischen Auswirkungen wären und wie es finaziert werden kann, ist noch reine Spekulation. Nur ein graduelles Ausscheiden aus Arbeitsverhältnissen ist zu beobachten. Eine dieses Jahr von den Ökonomen James Bessen, Maarten Goos, Anna Salomons,und Wiljan Van den Berge veröffentlichte Stu- die über die Effekte der Automatisierung kam zu dem Ergebnis, dass der technologische Fortschritt zu einem graduellen Ausschei- den von Personen aus der Arbeitswelt führt. Basierend auf einem Sample von 36.490 niederländischen Firmen und knapp fünf Mil- lionen Angestellten stellte sich heraus, dass die Arbeiter innerhalb von fünf Jahren nach Einführung einer Automatisierungsmaßnahme durchschnittlich 10,7 Prozent an Lohn verloren. Größtenteils lässt sich das auf die höhere Wahrscheinlichkeit, das Unternehmen zu verlassen, zurückführen. Die anschließende Arbeitslosigkeit in die- ser Fünf-Jahres-Periode lag im Schnitt ebenfalls um 22 Prozent höher und zusätzlich konnte beobachtet werden, dass die durch Künstliche Intelligenz und Roboter ersetzten Arbeiter anschließend überdurchschnittlich häufig die Branche wechselten bzw. überhaupt nicht wieder zu arbeiten begannen. Womöglich ein Zeichen dafür, dass Umschulungen immer schwieriger werden. Künstliche Intelligenz verändert zunehmend die Anforderungen des Arbeitsmarktes. Ein weiteres, erst vor wenigen Tagen veröffentlichtes Paper des MIT und IBM’s Watson AI-Lab analysierte 170 Millionen Online-Jobaus- schreibungen zwischen 2010 und 2017, um den Einfluss von KI auf den Arbeitsmarkt zu untersuchen. Sie fanden heraus, dass neben einer Änderung des Anforderungsprofils hin zu mehr „soft skills“, wie Kreativität, Common Sense oder Urteilsvermögen, besonders die Jobs der mittleren Einkommensklasse zurückgingen. Manche dieser Tätigkeiten werden durch Niedriglohnjobs ersetzt, während ande- re mehr Qualifikation bedürfen und zu hochbezahlten Jobs werden. Dieser Prozess vollzieht sich langsam, jedoch nimmt die Geschwin- digkeit zu. KI wird zwar bereits seit den 50er Jahren akademisch erforscht, doch erst seit 2012 kommerziell genutzt. CREDIT: metamorworks/stock.adobe.com

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