EU: Wirklich klima-fit?
„Fit for 55“ lautet das neue Konzept der EU im harten Kampf gegen die dramatische Erderwärmung. Ist das nur ein weiterer blumiger Marketing-Slogan oder doch der richtungsweisende Plan für unsere Klima-Zukunft?
Ursula von der Leyen fand schöne Worte: „Die Wirtschaft der fossilen Brennstoffe stößt an ihre Grenzen. Wir wollen der nächsten Generation sowohl einen gesunden Planeten hinterlassen als auch gute Arbeitsplätze und Wachstum, das unsere Natur nicht schädigt. Europa hat als erster Kontinent angekündigt, bis 2050 klimaneutral zu sein, und nun sind wir ebenfalls die Ersten, die einen konkreten Plan vorlegen.“ So die Politikerin bei der Vorstellung des Klima-Pakets „Fit for 55“.
Wahrheit und Dichtung
In diesem Zusammenhang fällt einem schnell ein Zitat aus Goethes Faust ein: „Die Botschaft hör’ ich wohl, allein mir fehlt der Glaube.“ Bei „Fit for 55“ handelt es sich um einen Vorschlag der EU-Kommission, um die Treibhausgasemissionen innerhalb der Union bis 2030 um zumindest 55 Prozent gegenüber 1990 zu reduzieren. Inwiefern lässt sich dieses Ziel verwirklichen? Das GELD-Magazin hat bei Experten nachgefragt.
Die Richtung stimmt, aber …
Johannes Wahlmüller, Klima- und Energiespezialist bei Global 2000, erklärt: „Prinzipiell handelt es sich um ein sehr großes Paket, das man nicht alle Tage sieht und das sehr viele Veränderungen bringen wird. Die eingeschlagene Richtung stimmt, es gibt aber noch viel Luft nach oben.“
Ähnlich klingt Jasmin Duregger von Greenpeace: „Es gab noch nie ein derart ambitioniertes Paket, es kommt allerdings zu spät und geht nicht weit genug. Wir brauchen mehr für die große ökologische Trendwende in den nächsten Jahrzehnten. Wir sehen somit also gute Ansätze, an den Details hapert es aber.“
Paket ist „unfit“
Ein fundamentaler Kritikpunkt ist, dass die angestrebte Emissions-Reduktion in Wirklichkeit gar nicht ausreicht, um übergeordnete Klimaziele zu verwirklichen. Wahlmüller von Global 2000 kommentiert: „Das Paket mag zwar fit für 55 sein, es ist aber unfit für 1,5 Grad.“ Damit meint er die Vorgabe des Pariser Klimaabkommens, den Temperaturanstieg auf 1,5 Grad Celsius zu begrenzen.
In einem Positionspapier der Umweltschutzorganisation heißt es zu „Fit for 55“ wie folgt: „Derzeit verfolgt die EU das Ziel, die Treib-hausgasemissionen um mindestens 55 Prozent bis 2030 zu reduzieren. Damit das erreicht werden kann, sieht das Paket vor, den Anteil erneuerbarer Energien auf 40 Prozent zu steigern und die Energieeffizienz um 36 Prozent zu erhöhen. GLOBAL 2000 sieht mehr Ambition gefordert: Eine Einsparung von 65 Prozent bis 2030, der Ausbau erneuerbarer Energien auf einen Anteil von 50 Prozent und eine Steigerung der Energieeffizienz um 45 Prozent sind notwendig, damit die EU ihren fairen Beitrag zum 1,5- Grad-Ziel leistet.“
Fazit: Die EU handelt
Eines ist klar: Angesichts der offensichtlichen Folgen des Klimawandels (zum Beispiel Flutkatastrophen) und schleichenden Auswirkungen (etwa Anstieg des Meeresspiegels) herrscht Handlungsbedarf. Und trotz aller Kritik an „Fit for 55“ steht fest: Die EU ist aktiv geworden. Wifo-Ökonom Franz Sinabell kommentiert: „Ich beobachte die EU-Politik in Sachen Nachhaltigkeit schon sehr lange. Hier wurde in den vergangenen drei Jahren ein enormes Tempo vorgegeben. Die EU ist den USA mehrere Schritte voraus, Russland sowieso, China ist mit 20 bis 30 Jahren Verspätung unterwegs. Das aktuelle 55-Prozent-Ziel der Union in doch vergleichsweise kurzer Zeit zu erreichen, halte ich für sehr ambitioniert. Da heißt es: Daumendrücken!“
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