Energie-Krise: Kein Lieferstopp
Es gibt nur wenige Anzeichen dafür, dass die politischen Entscheidungsträger bereit sind, das Risiko eines vollständigen Stopps russischer Gas-Lieferungen anzugehen. Katharine Neiss, Europäische Chefvolkswirtin bei PGIM Fixed Income, kommentiert die Krise am Energiemarkt.
„In unserem Basisszenario sehen wir das Wachstum im Euroraum in diesem Jahr immer noch bei etwa 2,9 %, bevor es sich auf 1,3 % im Jahr 2023 abschwächt. Ein plötzlicher Stopp würde Deutschland und Italien am stärksten gefährden und das Risiko einer stärkeren Rationierung von Energie erhöhen. Es könnte auch zu einem schwerwiegenden Szenario führen, bei dem das Wachstum deutlich unter unserem Basisszenario liegt, wie in der nebenstehenden Grafik dargestellt.“
Rationierung droht
Die Expertin meint weiter: „In einem Szenario mit plötzlicher Unterbrechung könnten die Rationierungen unserer Meinung nach im Winter beginnen und etwa ein Jahr lang andauern, und die Energieversorgung würde wahrscheinlich vorrangig für soziale Dienste und Haushalte bereitgestellt. Grob gesagt schätzen wir, dass ein Anstieg der Energiepreise um 10 % die Gesamtinflation in dem betreffenden Quartal um 0,2 Prozentpunkte erhöht.
In der Zwischenzeit werden energieeffiziente Industrien, wie z. B. die Pharmaindustrie, wahrscheinlich Vorrang vor der Metall-, Chemie- und anderen Schwerindustrien haben. Wir gehen auch davon aus, dass die politischen Entscheidungsträger den Energieunternehmen möglicherweise einen finanziellen Rückhalt bieten werden, wenn Europa sich beeilt, die von Russland hinterlassene Lücke zu schließen.“
Gefahr: Politische Krise
„Wir erwarten, zumindest in der Anfangsphase, keine große Gegenreaktion gegen die Rationierung, da die Haushalte nur relativ einfache Anpassungen vornehmen müssen. Das Fehlen konkreter Pläne zur Überbrückung der Energielücke könnte jedoch eine langwierige Phase der Unterbrechung bedeuten, die den Boden für öffentliche Unzufriedenheit und eine stärkere politische Polarisierung bereitet, wenn die Stagnation der Realeinkommen in einen schmerzhaften Kaufkraftverlust umschlägt“, analysiert Neiss.
PGIM Fixed Income/HK